UMS-Amerikaner   »Warum sagen Sie ›wir‹ statt ›ich‹?« fragte Judith. »Wir Amerikaner sagen ›wir‹, auch wenn wir von unseren Privatsachen reden«, antwortete John Ford. »Das kommt vielleicht daher, daß für uns alles, was wir tun, Teil einer gemeinsamen öffentlichen Aktion ist. Ich-Geschichten gibt es nur dort, wo einer für alle anderen steht. Wir gehen mit unserem Ich nicht so feierlich um wie ihr. Bei euch sagen ja sogar die Verkäuferinnen, die doch Sachen verkaufen, die ihnen gar nicht gehören: ›Mir ist das und das gerade ausgegangen!‹, oder ›Ich habe auch noch ein Hemd mit einem Kosakenkragen hier!‹ So ist es mir selber drüben passiert, das habe ich wirklich erlebt«, sagte John Ford. »Andrerseits ahmt ihr einander so nach und versteckt euch so hintereinander, daß sogar die Dienstmädchen am Telefon sich mit der Stimme der Hausherrin melden«, sagte er. »Ihr sagt immer ›ich‹ und fühlt euch doch geschmeichelt, wenn ihr mit jemand anderm verwechselt werdet. Und dann wollt ihr doch wieder ganz unverwechselbar sein! Deswegen schmollt ihr immer, seid beleidigt, jeder ist etwas Besonderes. Hier in Amerika gibt es kein Schmollen, und niemand zieht sich in sich selber zurück. Wir sehnen uns nicht danach, einsam zu sein; man wird verächtlich, wenn man allein bleibt, schnüffelt nur noch an sich selber herum, und wenn man dann auch nur noch mit sich selber redet, hört man immer schon nach dem ersten Wort zu reden auf.«

»Träumen Sie oft?« fragte Judith.

»Wir träumen kaum mehr«, sagte John Ford. »Und wenn, dann vergessen wir es. Wir reden über alles, so bleibt zum Träumen nichts mehr übrig.« - Peter Handke, Der kurze Brief zum langen Abschied. Frankfurt am Main 1972

US-Amerikaner (2)

- Tomi Ungerer, politrics. Zürich 1979 (Diogenes Kunst Tb. 10, zuerst 1968 ff.)

US-Amerikaner (3) John Gregory Bourke (1846—1896) war ein amerikanischer Kavallerie-Offizier, der im Kampf gegen die Indianer einen Kulturschock erfuhr. Bei einem rituellen Reinigungstanz in New Mexico sah er, wie die Medizinmänner der Nehue-Cue Urin tranken und in Ekstase verfielen. Von diesem Trauma hat er sich nie wieder erholt. Er verbrachte ein Jahrzehnt damit, die skatologischen Riten und Bräuche aller Völker der Erde zu erforschen. - Waschzettel zu (bou)

US-Amerikaner (4) Auf dem U. S. Highway 666 bewegte sich eine Schlange von Fahrzeugen langsam südwärts. Sie hingen alle hinter einem Sattelschlepper, der eine riesige Brunnenbohrmaschine geladen hatte.

Leaphorn musste daran denken, wie vor einiger Zeit bibeltreue Fundamentalisten einen Feldzug gegen die Highway-Kennzeichnung geführt hatten, weil die 666 in ihren Augen für das apokalyptische «Tier aus dem Abgrund», den Antichrist, stand. Irgendein praktisch denkender Mensch hatte damals den Vorschlag gemacht, die Schilder doch einfach auf den Kopf zu stellen. - Tony Hillerman, Dachsjagd. Reinbek bei Hamburg 2001 (zuerst 1999)

US-Amerikaner (5) Armer J.M.K.B., Américain, Catholique, et gentilhomme, wie er sich in Augenblicken himmelstürmenden Gedankenfluges selbst zu bezeichnen liebte. Ich möchte wohl wissen, ob sich heute noch in Europa Gentlemen finden, die von solch kühnem Gesicht, vornehmem Aussehen und eleganter schmaler Figur sind, außerdem noch ausgezeichnete Umgangsformen besitzen, einen düsteren, schicksalsschweren Blick haben und dabei von ihrem Schwert leben. Seine Familie war, wie ich annehme, im Bürgerkrieg ruiniert worden und hat dann eine Zeitlang ein sehr unstetes Leben in der Alten Welt geführt. Was nun Henry C., den nächsten an Alter und Weisheit, betrifft, so war dieser junge Mann vor der unbeugsamen Strenge seiner Familie ausgerückt, die, wenn ich mich recht erinnere, alteingewurzelte Bürger eines vornehmen Londoner Vororts waren. Auf Grund ihres respektablen Ansehens stellte er sich Fremden gewöhnlich ganz demütig als »schwarzes Schaf« vor. Ich habe nie ein argloseres Exemplar von Ausgestoßenem gesehen. Niemals.

Immerhin waren seine Angehörigen so gnädig, ihm dann und wann etwas Geld zu schicken. Er war in den Süden verliebt, in die Provence, in die Menschen, in das Leben, in den Sonnenschein und in ihre Dichtung. Engbrüstig, lang und kurzsichtig, wie er war, stelzte er durch die Straßen und Gassen mit weit ausladenden Schritten, die weiße Nase und den roten Schnurrbart in ein Buch vergraben, denn er hatte die Angewohnheit, im Gehen zu lesen. Wie er es fertigbrachte, dabei nicht Abhänge hinabzustürzen oder von Kais und Treppenhäusern hinunterzufallen, ist ein großes Geheimnis. Die Seiten seines Mantels waren von Taschenausgaben verschiedener Dichter ausgeheult. Wenn er nicht damit beschäftigt war, in Parks, Restaurants, Straßen oder an ähnlichen öffentlichen Plätzen Vergil, Homer oder Mistral zu lesen, verfaßte er Sonnette - auf französisch -auf die Augen, die Ohren, das Kinn, die Haare und andere sichtbare Vollkommenheiten einer Nymphe namens Therèse, der Tochter - die Ehrlichkeit zwingt mich dies festzustellen - einer gewissen Madame Leonore, die ein kleines Café für Seeleute in einer der engsten Straßen der Altstadt betrieb.

Ein reizenderes Gesicht, scharf geschnitten wie eine antike Gemme und zart in seinen Farben wie das Blatt einer Blumenkrone, hat es noch niemals auf einem leider etwas pummeligen Körper gegeben. Henry las ihr in dem Café seine Verse mit der Unschuld eines Kindes und der Eitelkeit eines Poeten laut vor. Nur zu gerne folgten wir ihm dorthin, wenn auch nur, um die göttliche Therèse unter den wachsamen schwarzen Augen Madame Leonores, ihrer Mutter, lachen zu sehen. Sie konnte sehr hübsch lachen, weniger über die Sonette, die sie wohl kaum zu schätzen wußte, als über die französische Aussprache des armen Henry, die einzigartig war und sich wie Vogelgezwitscher anhörte, wenn Vögel jemals stotternd und mit nasalem Tonfall gezwitschert haben.  - (con)

US-Amerikaner (6)  Der reiche Amerikaner machte immer mehr von sich reden. Jeden Nachmittag galoppierte er auf einem schwarzen Hengst durch die Lange Gasse, wir konnten vom Café aus sein verächtliches Lächeln deutlich sehen, während sich die blassen Traumstädter in die Haustore und Winkel flüchteten, um diesem rücksichtslosen Reiter auszuweichen. An der Badeanstalt band er sein Tier fest, dann entkleidete er sich, und zu Pferd ging's in die Fluten. Mit Leichtigkeit bändigte dieser Athlet das sich bäumende Tier. - Einmal kam er nach einem solchen Bad auch in unser Kaffeehaus. Er bestellte mehrere Getränke, die es hier gar nicht gab, und schimpfte infolgedessen. Endlich beruhigte er sich ein wenig bei Grog. Ich konnte ihn jetzt aus nächster Nähe beobachten, sein scharfes, diabolisches Profil war gerade vor mir. »Sicher, ein ganz gefährliches Individuum«, mußte ich mir sagen. Verwachsen mit ihm war eine kurze Pfeife, doch trug er noch zwei ungeheure Etuis mit dicken Zigarren bei sich — »Propaganda-Zigarren« nannte er sie selbst. — Jedem offerierte er ein Stück; nahm man an, so gehörte man schon zur Hälfte ihm. Dann kam er mit seinen Theorien und seinen Vereinen, auch im Kaffeehaus warb er Anhänger. Der von ihm gegründete sozialpolitische Verein ›Luzifer‹ wurde in der ›Stimme‹ gebührend begrüßt, das Amtsblatt schwieg sich darüber aus. Viel erzählte er von der Welt draußen, er sprach zu uns allen und blickte fortwährend heruni, wie wenn er den Eindruck seiner Reden abschätzen wollte. Manche seiner Worte weiß ich noch. »Euch fehlt die Sonne, ihr Narren! Es geschieht euch recht, wenn ihr das ganze Leben verliert, warum wehrt ihr euch nicht? Seht mich an, ich spucke auf euren Patera!« Und hohnlachend schlug er mit der Faust auf den Tisch. Die Zuhörer duckten sich erschrocken, sie fürchteten wohl alle, daß jetzt ein Blitz niederfahren müsse zur sofortigen Bestrafung einer solchen Blasphemie. Scheu senkten sie die Augen. — Unser Wirt bekreuzigte sich mehrmals hastig, klopfte sich auf die Brust und murmelte Stoßgebete. Anton hockte sich beim Ofen nieder und flüsterte zweimal: »Kreuzteufel, Kreuzteufel!« —

Die Schachspieler waren die einzigen Unberührten. Der Amerikaner verfolgte den Eindruck seiner Worte, spie auf den Boden, warf ein Goldstück auf den Tisch und schritt voll Verachtung hinaus. - Alfred Kubin, Die Andere Seite. München 1975 (zuerst 1909)

US-Amerikaner (7)   45 Prozent der Amerikaner glauben, dass Gott den Menschen in seiner heutigen Form vor weniger als 10 000 Jahren geschaffen hat und dass der Mensch nicht vom Affen abstammt. - Berliner Zeitung vom 3. Januar 2007

US-Amerikaner (8)  Senorita Carminetta Conchinella wiegte ihren kleinen Hintern auf ihrer schwarzen Mantilla. »Die Amerikaner finden Gott und das Leben ziemlich schwierig, stimmt das nicht?« Sie wandte Mr. Menüs ihren dunklen, sanften, angestrengten Blick zu. »Ich laufe durch eure Krüger-Parks, sogar durch euren New Yorker Zoo, und sämtliche jungen Leute hört man über Psychiatrie und Zen und über Nervenkrankheiten sprechen, während die alten über Kuren und Heilungen reden und über Vergänglichkeit, und sie befinden sich dabei alle sehr wohl und sind wohlhabend und unglücklich. In meinem Land, da pflegt man allein vor Gott zu treten, nackt und ungebeten. Damit man nicht auf die Idee kommt, ihn um Gunstbeweise zu bitten ... Das ist schön, so ist es gut - so kann auch Er ausruhen ... Ihr Amerikaner aber, ihr ringt die Hände ... wenn ihr müde seid oder es euch zu heiß ist. Es ist gut, wenn es heiß ist, das ist wie Weisheit. Es schlägt einem die Schädeldecke weg.«  - Djuna Barnes, Saturnalien. In: D. B., Hinter dem Herzen. Berlin 1994

US-Amerikaner (9)  

- Saul Steinberg

 

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