nunterscheidbarkeit  Ich schlafe nie: Ich lebe und träume, oder genauer, ich träume im Leben und im Schlaf, der gleichfalls Leben ist. In meinem Bewußtsein gibt es keine Unterbrechung: Ich nehme wahr, was mich umgibt, solange ich noch nicht schlafe, oder solange ich nicht gut schlafe, und beginne zu träumen, sobald ich wirklich schlafe. So bin ich ein beständiges Sich-Entfalten zusammenhängender oder unzusammenhängender Bilder, die stets vorspiegeln, sie gehörten zur Außenwelt; einige schieben sich zwischen die Menschen und das Licht, wenn ich wach bin, andere zwischen Trugbilder und die sichtbare Lichtlosigkeit, wenn ich schlafe. Ich weiß wirklich nicht, wie ich das eine vom anderen unterscheiden soll, noch könnte ich sagen, ob ich nicht schlafe, wenn ich wach bin, ob ich nicht aufwache, wenn ich einschlafe.  - Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Zürich 2003

Ununterscheidbarkeit (2) Schlafen und Wachen unterscheiden sich nicht mehr so voneinander wie früher. Oft bringe ich beides durcheinander. Mein Gedächtnis birgt alle möglichen Dinge, vielleicht nicht in chronologischer Ordnung, aber es ist eine ganze Menge. So bin ich stolz darauf, mich ganz hervorragend an die unterschiedlichsten Dinge erinnern zu können.

Zum Monde sangen ein Lied die Katzen,
Am Strande lag bloß ein Silberbatzen,

Dieses dichterische Bild wurde nie fertig, ich muß wohl darüber eingeschlafen sein.   - (hoer)

Ununterscheidbarkeit (2) Die Seele eines Schlafenden soll aus seinem Körper davonwandern und geradezu alle die Orte aufsuchen, die ein Mensch sieht, und die Handlungen ausführen, von denen er träumt. Wenn zum Beispiel ein Indianer in Brasilien oder Guiana aus einem tiefen Schlaf erwacht, ist er fest davon überzeugt, daß seine Seele tatsächlich auf Jagd, beim Fischfang, beim Bäume-fällen oder bei sonst irgendeiner Beschäftigung war, von der er geträumt hat, während die ganze Zeit sein Körper unbeweglich in der Hängematte lag. Ein ganzes Bororodorf ist einmal in Panik geraten und fast verlassen worden, weil jemand träumte, er habe Feinde sich ihm heimlich nähern sehen. Ein Mascusi-Indianer, der nur eine schwache Gesundheit hatte, träumte einmal, sein Brotherr habe ihm das Kanu eine Reihe von schwierigen Wasserfällen hinaufziehen lassen, und er machte seinem Herrn am nächsten Morgen bittere Vorwürfe, daß er so rücksichtslos gewesen war, einen armen, gebrechlichen Men­schen zu zwingen, des Nachts hinauszugehen und für ihn zu arbeiten. Die Indianer vom Gran Chaco erzählen oft die unglaublichsten Geschichten, als hätten sie diese selbst gesehen oder mit angehört. Daher haben Fremde, die sie nicht genau kennen, nichts Eiligeres zu tun, als zu behaupten, diese India­ner seien Lügner. In Wirklichkeit sind jedoch die Indianer von der Wahrheit dessen, was sie erzählen, volfkommen überzeugt, denn diese wunderbaren Abenteuer sind ganz einfach ihre Träume, die sie von der wachen Wirklichkeit nicht zu unter­scheiden vermögen.

Wenn ein Dayake träumt, er falle ins Wasser, so bildet er sich ein, dieser Unfall sei tatsächlich seinem Geiste zugestoßen, und er läßt einen Zauberer kommen, der mit einem Handnetz in einer Wasserschüssel so lange nach dem Geiste fischt, bis er ihn fängt und seinem Besitzer zurückerstattet. Die Santalen berich­ten, wie einmal ein Mann eingeschlafen sei und seine Seele, weil er großen Durst hatte, in Gestalt einer Eidechse seinen Körper verlassen und sich in einen Krug mit Wasser begeben habe, um zu trinken. In dem Augenblicke deckte der Besitzer des Kruges diesen gerade zufällig zu; da konnte die Seele nicht in den Körper zurückkehren, und der Mann starb. Während seine Freunde sich anschickten, den Körper zu verbrennen, deckte jemand den Krug auf, um Wasser zu holen. Auf diese Weise entschlüpfte die Eidechse und kehrte in den Körper zurück, der sich sofort wieder belebte.Er erzählte, er sei in einem Brunnen gewesen, um Wasser zu holen, habe es aber schwer gefunden wieder herauszukommen und sei eben zurückge­kehrt. Da sahen sie alles ein. - (fraz)

Ununterscheidbarkeit (3)  Ein Mann aus Dscheng war in die Steppe gegangen, um Brennholz zu suchen. Da traf er ein aufgescheuchtes Reh. Er fing es, schlug es, tötete es. Auf daß kein anderer es finde, barg er es in einem leeren Graben und deckte es mit Reisern zu. Doch er verlor plötzlich den Ort, da er es versteckt. So hielt er alles für einen Traum. Er ging des Wegs dahin und sagte sein Erlebnis vor sich hin. Ein andrer vernahm es; er merkte sich seine Reden und fand das Reh.

Als er nach Hause kam, erzählte er seiner Hausfrau und sprach: »Vorhin hat ein Reisigsammler im Traum ein Reh gefangen, doch wußte er nicht seinen Ort. Ich habe es nun gefunden. Er hatte also einen wahren Traum gehabt.« Die Hausfrau sprach: »Du hast wohl im Traum einen Reisigsammler gesehen und so das Reh gefunden. Wo soll denn auf einmal solch ein Reisigsammler herkommen? Nun hast du ja in Wirk­lichkeit ein Reh gefunden, so ist also dem Traum wahr gewesen.« Der Mann sprach: »Ich habe das gefundene Reh in Händen; was brauche ich zu wissen, ob er geträumt oder ich geträumt?«

Der Reisigsammler ging nach Hause und war über den Verlust des Rehes nicht ärgerlich. In derselben Nacht sah er im Wahrtraum den Ort, da er es verborgen, und träumte auch den Finder, der es gefunden. Am ändern Morgen ging er dem nach, was er geträumt, und fand ihn richtig. Nun stritten sie sich um das Reh, und die Sache kam vor den Richter. Der Richter sprach: »Hast du erst in Wirklichkeit das Reh gefunden und hieltest das dann fälschlich für einen Traum, oder hast du in Wirklichkeit geträumt, daß du das Reh gefunden, und hältst es nun fälschlich für eine Tatsache? Hat jener wirklich dein Reh genommen und streitet nun mit dir um das Reh? Und die Hausfrau behauptet gar, daß er im Traum den Mann und das Reh erblickt und gar niemand war, der das Reh gefunden. Nun haben wir handgreiflich dieses Reh vor uns. Ich bitte, es in zwei Teile zu teilen und den Fürsten von Dscheng darüber zu hören.«

Der Fürst von Dscheng sprach: »El, der Richter träumt wohl seinerseits, das Reh der Leute zu teilen!« - Liä Dsi, Das wahre Buch vom quellenden Urgrund (etwa 300 v. Chr.), nach (boc)

Ununterscheidbarkeit (4)  Thales sagte, der Tod unterscheide sich in keiner Hinsicht vom Leben. »Warum«, frage da einer, »stirbst du dann nicht?« - »Weil .es«, entgegnete Thales, »keinen  Unterschied macht.« - Diogenes Laertius, nach (gsv)
 
 

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