Unübersichtlichkeit

- Robert Crumb

Unübersichtlichkeit (2)   Die Witwe gab allerlei Familien-Anekdoten zum besten. Das ist ihre Stärke. Ihre Sippe ist aber auch wirklich komisch, da völlig unübersichtlich: Der Schwiegerpapa war dreimal verheiratet, in großen Abständen; hat zwei seiner Frauen überlebt. Aus allen Ehen laufen nun Kinder und Kindeskinder herum; Tanten, die jünger sind als ihre Nichten; Onkel, die mit ihren Neffen in die gleiche Schulklasse gehen. Obendrein, so gesteht die Witwe, hat sich die letzte, überlebende Gattin anschließend in zweiter Ehe mit einem Juden vermählt. Dieser jüdische Stief-Schwiegervater starb zwar bereits lange vor Beginn des Dritten Reiches; doch blieb er ein Fleck in der Familiengeschichte. Heute hingegen erzählt die Witwe geradezu mit Behagen von ihm und rühmt sich seiner.   - Anonyma, Eine Frau in Berlin. Tagebuch-Aufzeichnungen vom 20. April bis 22. Juni 1945. Berlin  2005 (zuerst 1954)

Unübersichtlichkeit (3)  und dann gab es in P eine Frau namens h. die hatte zwei Töchter und einen Sohn, die erste Tochter hatte einen Sohn und eine Tochter, die zweite Tochter hatte einen Sohn und drei Töchter, der Sohn hatte einen Sohn und zwei Töchter, lange Jahre nachdem ihr Mann gestorben war, einige Jahre weniger, nachdem auch ihr Sohn gestorben war, hatte sich Frau p in eine winzige, kleine, schwarzgekleidete, fröhliche Frau verwandelt, die ihre zahlreiche Verwandtschaft zu verwechseln begann, so hielt sie den Sohn des Sohnes ihres Sohnes für den Sohn ihres Sohnes und den Sohn ihres Sohnes für ihren Sohn, iss datt dein Mann? fragte sie in freundlichstem kölnisch ihre, wie gesagt verwitwete, Schwiegertochter unter Hinweis auf den Sohn ihres Sohnes, oder: iss datt dein Kind? und erwies dem Sohn des Sohnes ihres Sohnes große Freundlichkeit, im Laufe der Jahre überwand sie diese Schwierigkeit ohne eigenes Zutun, so daß sie später eigentlich nur noch fehlerfrei singen konnte: ach ich hab sie ja nur auf die Schulter geküßt, während sie ihre Konversation auf die unermüdliche Repetition der Reste einiger Gespräche, die sie vor fünfzig oder sechzig Jahren anläßlich einer beliebigen Kaffeetafel gehabt hatte, reduzierte.   - Peter O. Chotjewitz, Hommage à Frantek. Nachrichten für seine Freunde. Reinbek bei Hamburg 1965

Unübersichtlichkeit (4)

- N. N.

Unübersichtlichkeit (5)

Unübersichtlichkeit (6)  Zu den Erzählungen des Försters gehörte auch die Geschichte des R-Flüchtlings in ihrer Brigade, ein Mann schon Überdievierzig, seit Vielenjahren wortkarg u in=sich gekehrt. Einst hatte er mit seinem Freund über Die-Berliner-Mauer in Pankow aus der DeDeR zu fliehen versucht. In dieser Gegend schlug Die-Mauer etliche Winkel, Ecken & Nischen, Häuser von der Ostseite rückten hier bisweilen sehr nahe an Die-Grenze heran, deren Verlauf war unübersichtlich. Das wollten die beiden sich zunutze machen & auch, daß gerade die britische Premierministerin Thatcher zu Besuch in Westberlin weilte; für diese Kurzezeit (so raunte man im-Osten) sei für DeDeR-Grenzsoldaten Der Schießbefehl aufgehoben worden. Also wagten in einer dieser Nächte die beiden jungen Männer in der Pankower Gegend an Die-Mauer sich heran —, überwanden die Vorsperranlagen, - IKeinalarm: IWeiter -, überkletterten ein Mauerstück, - !Hinüber: und noch immer IKeinalarm: Weiter - noch 1 Stück, dann - :Sie schafften auch dieses zweite Mauerstück, wähnten sich nun Im-Westen u freuten sich laut —:-Hundegebell, Taschenlampen, Rufe & eilige Stiefel : N-V-A=Grenzposten..... kamen auf die beiden zu. —Wie gesagt, schloß der Förster, -der Verlauf Der-Mauer war in dieser Gegend unübersichtlich. Die beiden waren bereits nach der ersten Kletterpartie !tatsächlich Im-Westen angekommen, aber sie konnten Das nicht glauben. Also kletterten sie noch 1 Mal über Die-Mauer und damit wieder zurück in den-Osten.  - (jir)

 

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