nterweltsreise

 

Aeneas begegnet Dido in der Unterwelt


Aeneas in der Hölle

Entsetzen! Er bemerkt die Frau, die ihn mit einem Dolch im Herzen und mit Augen voller Erregung anbetet. Eine entzückende Gebärde, die die Scham verschönt, begleitet ihre Worte: »Geliebter Freund, ich pfeif auf Dich!« 

 - (dau)

Unterweltsreise (2) Somnium  ist einer der schwärzesten der Dialoge des Leon Battista Alberti.  Der Protagonist dieser Erzählung, Libripeta, ein Literat von absoluter Negativität, ist aus einer Kloake aufgestiegen und berichtet, entsetzlich stinkend, daß er aus einem unterirdischen Reich komme, in dem die gesellschaftlichen Triebkräfte unverstellt offenliegen. In ihm strömt der Fluß des Lebens, den unappetitliche Monster als die wahren Charaktere der Menschen bevölkern. Im Tal der vergessenen Dinge dagegen habe er unter anderem einen nicht geringen Teil seines Gehirnes gefunden, was bewirkt habe, daß der rechte Teil seines Kopfes leer sei. Der Dialogpartner Lepidus, ein junger, nach Ruhm und Anerkennung suchender Humanist, antwortet darauf ironisch, daß Libripeta wohl als leer erachte, was mit Wahnsinn durchdrungen sei, stellt umgehend aber die bereits angsterfüllte Frage: »Quid tum«, »was dann? Lagern dort auch die vergessenen guten Künste und die alten lateinischen Schriften?« Die Antwort ist so scharf wie umfassend: Inmitten des Feldes des Vergessenen befinden sich die antiken Reiche, über die man nur noch lesen kann, und alles, was nicht wiederkehrt, wenn es einmal verloren ist.

Nach dem Bericht über weitere Stationen der unterirdischen Reise geht Libripeta schließlich auf den grausigsten aller Orte ein, die Wiese der Träume, deren Gras aus Haaren besteht, die teils über und über mit Läusen bedeckt sind. Als sie den Ankömmling auffressen wollten, habe sich dieser durch den Abflußkanal gerettet. -  Horst Bredekamp, Bilder bewegen. Berlin 2005 ca. 2005

Unterweltsreise (3)  Die bleiche Jungfer  legt  ihm ihre eiskalte Hand aufs Knie und lacht mit gelben Zähnen. »Alle müssen diesen Weg gehen«, sagt sie. »Laß mich«, ruft Hermut und streift ihre Hand ab. »Gut«, sagt sie. »Ich erlaube dir, das Reich der Toten zu betreten. Aber woher willst du wissen, daß du es wieder verlassen darfst? Von hier aus ist noch keiner zurückgekehrt.« - »Kommt Zeit, kommt Rat«, antwortet Hermut und sprengt über die leuchtende Brücke nach Niflheim.

Hier ist alles kalt, dunkel und klamm. Er kommt an einem See vorbei, an dessen Ufern verwesende Leichen liegen. Ihr Gestank steigt ihm in die Nase. Schwer zu sagen, ob es Menschen oder Tiere waren, was da verrottet. Hermut hat von diesem Ort gehört; er weiß, daß hier eine der drei Wurzeln der Weltesche Yggdrasil endet, und daß in der Tiefe des Sees eine wilde Schlange haust, die an dieser Wurzel nagt und nagt.

Er wagt es nicht, sich umzusehen, und reitet weiter, bis vor ihm auf der Straße eine turmhohe, unheimliche Barrikade aufragt, die aus morschen Gebeinen und wurmzerfressenen Schädeln aufgeschichtet ist. Er gibt Sleipnir die Sporen, und das achthufige Pferd springt mit einem großen Satz über die Sperre.

Nun ist der Hof der Herrscherin über das Totenreich nicht mehr weit. Er steigt vom Pferd und tritt ein. Hel empfängt ihn selbst. Sie ist groß und hager von Gestalt. Die eine Seite ihres Gesichts ist bleich wie Kreide, die andere blauschwarz wie ein Rabe.  - Tor Åge Bringsværd, Die wilden Götter. Dt. von Tanaquil u. Hans Magnus Enzensberger. Zeichnungen von Johannes Grützke. Frankfurt am Main 2001

Unterweltsreise (4)  Zeus  befahl seinem Bruder Hades, Sisyphos in den Tartaros zu holen und ihn ewiglich für den Verrat göttlicher Geheimnisse zu bestrafen. Doch Sisyphos war nicht zu überlisten. Schlauerweise fesselte er Hades selbst in seinen eigenen Fesseln, indem er ihn überredete, ihm doch zu zeigen, wie man diese verwendet, und sie dann schnell zuschloß. So war Hades einige Tage im Hause des Sisyphos gefangen. Dies war eine widernatürliche Situation, denn niemand konnte sterben; selbst nicht die Männer, die enthauptet oder gevierteilt worden waren. Endlich eilte Ares, dessen Interessen bedroht waren, heran, befreite ihn und lieferte Sisyphos ihm aus.

Sisyphos versuchte jedoch, noch eine andere List. Bevor er zum Tartaros hinabstieg, befahl er seiner Gemahlin Merope, ihn nicht zu begraben. Als er im Palast des Hades ankam, ging er geradewegs zu Persephone. Er erzählte ihr, daß er als Unbegrabener kein Recht hätte, hier zu sein, sondern auf der anderen Seite des Flusses Styx sein müßte. «Laß mich in die obere Welt zurückkehren», bat er, «wo ich mein Begräbnis anordnen und mich für die geschehene Vernachlässigung rächen kann. Mein Aufenthalt hier ist gegen alle Ordnung. Innerhalb von drei Tagen werde ich zurückkommen.» Persephone ließ sich täuschen und gewährte ihm seine Bitte. Sobald aber Sisyphos sich wieder im Lichte der Sonne befand, brach er sein Versprechen an Persephone.  - (myth)

Unterweltsreise (5) Herakles sollte Kerberos, den Höllenhund, aus dem Hades heraufbringen. Dies Untier hatte drei Hundsköpfe mit gräßlichen Rachen, aus denen unaufhörlich giftiger Geifer träufte, ein Drachenschwanz hing ihm vom Leibe herunter,, und das Haar der Köpfe und des Rückens bildeten zischende geringelte Schlangen. Sich für diese grausenerregende Fahrt zu befähigen, ging Herakles in die Stadt Eleusis im attischen Gebiete, wo eine Geheimlehre über göttliche Dinge der Ober- und Unterwelt von kundigen Priestern gehegt wurde, und ließ sich von dem Priester Eumolpos in die dortigen Geheimnisse einweihen, nachdem er an heiliger Stätte vom Morde der Kentauren entsündigt worden war. So mit geheimer Kraft, den Schrecken der Unterwelt zu begegnen, ausgerüstet, wanderte er in den Peloponnes und nach der lakonischen Stadt Tänaros, wo sich die Mündung der Unterwelt befand. Hier stieg er, von Hermes, dem Begleiter der Seelenj geleitet, die tiefe Erdkluft hinab und kam zur Unterwelt vor die Stadt des Königes Pluton. Die Schatten, die vor den Toren der Hadesstadt traurig wandelten - denn in der Unterwelt ist kein heiteres Leben wie im Sonnenlichte - ergriffen die Flucht, als sie Fleisch und Blut in lebendiger Menschengestalt erblickten; nur die Gorgone Medusa und der Geist Meleagers hielten stand. Nach jener wollte Herakles einen Schwertstreich führen, aber Hermes fiel ihm in den Arm und belehrte ihn, daß die Seelen der Abgeschiedenen leere Schattenbilder und vom Sdrwerte nicht verwundbar seien. Mit der Seele Meleagers dagegen unterhielt sich der Halbgott freundlich und empfing von ihm sehnsüchtige Grüße für die Oberwelt an seine geliebte Schwester Deianira. Ganz nahe zu den Pforten des Hades gekommen, erblickte er seine Freunde Theseus und Peirithoos; der letztere hatte sich in der Unterwelt, vom andern begleitet, als Freier der Persephone eingefunden und beide waren wegen dieses frechen Unterfangens von Pluton an den Stein, auf den die Ermüdeten sich niedergelassen hatten, gefesselt worden. Als beide den befreundeten Halbgott erblickten, streckten sie flehend die Hände nach ihm aus und zitterten vor Hoffnung, durch seine Kraft die Oberwelt wieder erklimmen zu können. Den Theseus ergriff auch Herakles wirklich bei der Hand, befreite ihn von.seinen Banden, und richtete ihn vom Boden, an den gefesselt er gelegen hatte, wieder auf. Ein zweiter Versuch, auch den Peirithoos zu befreien, mißlang, denn die Erde fing an, ihm unter den Füßen zu beben. Vorschreitend erkannte Herakles auch den Askalaphos, der einst verraten hatte, daß Persephone von den. Rückkehr verwehrenden Granatäpfeln des Hades gegessen; er wälzte den Stein ab, den Demeter in Verzweiflung über den Verlust ihrer Tochter auf ihn gewälzt hatte. Dann fiel er unter die Herden des Pluton und schlachtete eines der Rinder, um die Seelen mit Blut zu tränken; dies wollte der Hirte dieser Rinder, Menötios, nicht gestatten und forderte deswegen den Helden zum Ringkampfe auf. Herakles aber faßte ihn mitten um den Leib, zerbrach ihm die Rippen und gab ihn nur auf Bitten der Unterweltsfürstin Persephone selbst wieder frei. Am Tore der Totenstadt stand der König Pluton und verwehrte ihm den Eingang. Aber das Pfeilgeschoß des Heroen durchbohrte den Gott an der Schulter, daß er Qualen der Sterblichen empfand und, als der Halbgott nun bescheidentlich um Entführung des Höllenhundes bat, sich nicht länger widersetzte. Doch forderte er als Bedingung, daß Herakles desselben mächtig werden sollte, ohne die Waffen zu gebrauchen, die er bei sich führe. So ging der Held, einzig mit seinem Brustharnisch bedeckt und mit der Löwenhaut unihangen, aus, das Untier zu fahen. Er fand ihn an der Mündung des Acheron hingekauert, und ohne auf das Bellen des Dreikopfs zu achten, das wie ein sich in Widerhallen vervielfältigender, dumpfer Donner tönte, nahm er die Beine, umschlang den Hals mit den Armen und ließ ihn nicht los, obgleich der Schwanz des Tieres, der eine lebendige Schlange war, sich vorwärts bäumte und der Drache ihn in die Weiche biß. Er hielt den Nacken des Ungetüms fest und schnürte ihn so lange zu, bis er über das ungebärdige Tier Meister ward, es dann aufhob und durch eine andere Mündung des Hades bei Trözen im argolischen Lande glücklich wieder zur Oberwelt auftauchte. Als der Höllenhund das Tageslicht erblickte, entsetzte er sich und fing an, den Geifer von sich zu speien; davon wuchs der giftige Eisenhut aus dem Boden hervor. Herakles brachte das Ungeheuer in Fesseln sofort nach Tiryns und hielt es dem staunenden, Eurystheus, der seinen eigenen Augen nicht traute, entgegen. Jetzif verzweifelte der König daran, jemals des verhaßten Zeussohnel ledig zu werden, ergab sich in sein Schicksal und entließ den Helden, der den Höllenhund seinem Eigentümer zurück in die Unterwell brachte.  - (sage)

Unterweltsreise (6)  Der Eisenmann  sprach: »Gehe du nur zu deinem Vater und verlange zwei Hähne mit Hufeisen.« Der Prinz brachte beide Hähne; sie bestiegen sie und ritten hinab in die Unterwelt. Sie ritten immer weiter und gelangten zu Kühen, die, auf guter Weide, am Wasser, auf fruchtbaren Inseln lebend, doch nicht so viel Fleisch am Leibe hatten, als man auf eine Nadelspitze legen kann. Der Prinz fragte den Schwager, warum diese Kühe, anstatt fett zu sein, gar so mager seien? Der Eisenmann aber sprach: »Auf der Rückkehr werde ich es dir erklären.« Sie ritten weiter und stießen wieder auf Kühe, die, obwohl auf Sandboden lebend, so dick und fett waren, daß sie vor Fett bei der geringsten Berührung mit dem Finger auseinander geborsten wären. Der Prinz fragte wieder, wie denn diese Kühe auf dürrem Sandboden so fett und feist sein könnten, während die andern auf fetter Trift mager zum Umfallen wären. Auch jetzt vertröstete ihn der Schwager auf die Rückreise, und sie ritten weiter, bis sie zu dem Reiche der Toten gelangten. Dort tanzte seine Mutter, die Königin, sie hatte ein Tuch in der Hand und den Ring am Finger. Da sagte ihm der Eisenmann: »Du gehst schweigend zu deiner Mutter, lege die Hand auf das Tuch und ziehe den Ring vom Finger, aber sprich kein Wort, sonst mußt du bei den Toten bleiben. Ich würde gern mit dir hineingehen, aber ich kann jetzt nicht, da ich mit dem Erzengel entzweit bin.«  - (zig)

Unterweltsreise (7)   Er öffnete das Tor und trat in den Hof, aber neun weiße Hunde stürzten sich wütend auf ihn. Er nahm aus dem Säckchen das Fleisch hervor und warf es den Hunden hin. Darauf ging er vorwärts und sah einen Brunnen, aus dem eine Frau Wasser schöpfte, indem sie einen an ihre Zöpfe gebundenen Eimer heraufzog und wieder in den Brunnen hinabließ. Er warf ihr den Strick hin, damit sie den Eimer an denselben binde, und fragte sie, wozu sie das viele Wasser schöpfe. »Für die Toten«, antwortete das Weib, »die von ihren Verwandten ungewaschen begraben wurden.« Darauf ging er weiter und öffnete mit dem Schlüssel die Tür des Hauses und trat in ein Zimmer, wo er drei Eier fand. Er brach das eine auf. Da schwebte Nebel ins Zimmer, und sein Vater trat vor ihn und sprach: »O, ich bin hungrig und durstig!« — »Komm in den Hof«, sagte der Bursche, »vor der Tür steht ein Krug voll Milch!« — »Ich danke dir«, antwortete der Vater, »aber jetzt ist es schon zu spät; wenigstens habe ich jetzt Ruhe und kann weiter ins Reich der Toten gelangen!« Mit diesen Worten verschwand er. - (zig)

Unterweltsreise (8)  Es hat ein Mann gelebt. Er ging für seinen Sohn Moderholz sammeln. Die Mutter sprach: »Wohin? Streife nicht herum, es ist Nacht geworden!« Er hörte nicht auf seine Mutter, ging fort. Er ging, er ging nach Moderholz in die Weite. Dann brach die Dunkelheit über ihn herein. Er ist zu einem vereisten Sumpf gelangt, da versank er. Er versank, fiel nach unten. Er fiel, sehr lange fiel der Mann.

Er gelangte in ein Land, fiel auf eine Fährte. Er ging die Fährte lang, bemerkte Rentierspuren und Menschenspuren. Er erblickte Leute, er vernahm den Klang der Schmiedemeister: tack-tuck, tack-tuck. Er ging hin zu jenen Leuten. Ein Rentier ins, in der Schmiede herum. Als er eintrat, starb das Rentier. Er trat in ihre Schmiede, die Leute fragten ihn: »Woher kommst du?« - »Ich Geringer habe mich verirrt«, dann ging er in ihre Zelte. Sobald er zu ihren Zelten kam, starb eine Frau. Da sprachen jene Leute: »Was für einer ist da gekommen? Fragt nun den Schamanen!« Der Schamane fragte ihn: »Woher kommst du?« Er sagte: »Ich habe mich verirrt.« Sie forderten den Schamanen auf zu schamanisieren. Der begann zu schamanisieren, schamanisierte, schamanisierte, sprach zu dem Manne: »Du bist von oben gekommen.« Da erinnerte er sich und sagte: »Wahrlich, ich bin von oben herabgefallen, nimm mich wieder mit nach Hause!«

Alle Leute baten nun den Schamanen flehentlich: »Bringe ihn irgendwie wieder zurück!« Der Schamane schamanisierte, schamanisierte auf des Menschen Spur hin (d.h. um sie zu finden). Am Ende der Schamanenbeschwörung war er bereit aufzubrechen, nach Hause zu wandern. Der Mann fragte: »Wie werde ich heimkommen? Mein Zelt ist oben!« Der Mann sann und sann, er wanderte dahin. Der Schamane sprach: »Hier mußt du gehen, diese Spur entlang!« Der Mann dachte in seinem Sinne: »Wie werde ich heimgelangen? Ich werde es gar nicht schaffen.«

Er zog die Fährte entlang, die ihm vom Schamanen bedeutet worden war. Er wanderte, er wanderte. Er sah eine Leiter, die war nach oben angelehnt. Er kletterte auf die Leiter, kletterte, kletterte sehr lange. Er kam zu der Stelle, wo er eingestürzt und versunken war. Dort nahm er die Eishacke und ging nach Hause.  - Sibirische Märchen, Bd. 2. Übs. u. Hg. Gerhard Doerfer. Düsseldorf und Köln 1983 (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)

Unterweltsreise (9)  

Unterweltsreise (10)  

Unterweltsreise (11)  Sie veranlaßten die Papierbereiter, alte, sachkundige Leute, die Papier in Streifen schnitten und die Streifen zusammenknüpften, daß sie den Schmuck für die Leiche anfertigten. Nachdem dies geschehen, schmückten sie damit den Toten. Dann brachten sie ihn in Hockstellung und gossen ihm Wasser aufs Haupt, wahrend sie zu ihm sprachen: »Das ist das Wasser, das du auf Erden getrunken hast.«  Darauf taten sie Wasser in einen kleinen Krug, gaben ihm den und sprachen: »Und das ist das, was du auf der Reise brauchen wirst« und steckten ihm den Krug zwischen die Kleider. Hernach wickelten sie den Toten fest in seine Binden, umschnürten ihn und gaben ihm seine Papierkleider. In bestimmter Reihenfolge legten sie sie vor ihm hin und sagten dabei: »Damit wirst du an die Stelle gelangen, wo die Berge zusammenstoßen.« - »Und damit wirst du da hindurchkommen, wo die Schlange den Weg bewacht.« - »Und damit wirst du an der grünen Eidechse, dem Zeichen der Blume, vorbeikommen.« - »Und damit wirst du deinen Weg über die acht Steppen finden.« - »Und damit wirst du bis zu den acht Hügeln gelan-; gen.« - »Und damit wirst du an den Ort des Obsidianmesserwindes gelangen.« An diesem Ort litt man große Not; lauter Steinmesser und Steingrus wurden dort vom Winde umhergewirbelt. Darum verbrannte man, wenn Männer gestorben waren, ihre Federschmuckbehälter, Schilde und Schwerter, Trophäen, Mäntel und was sonst noch zu ihrer Habe gehörte, mit allem übrigen, und wenn Frauen gestorben waren, ihre Körbchen, Haarsträhnen, Webegeräte und Kämme mit allem übrigen; denn man sagte, daß man sich damit gegen den Wind verteidige und schütze, um am Orte des Obsidianmesserwindes nicht zu sehr zu leiden. Wer nichts sein eigen nannte und ohne alles dahinging, der litt sehr, wenn er an diesen Ort gelangte. Auch ein Hündchen hatte der Tote als Begleiter, ein gelbes, das einen Faden lockerer Baumwolle als Halsband trug. Es sollte den Toten über den neunfachen Strom nach dem Totenreiche übersetzen . . .

Erst nachdem vier Jahre um waren, kam der Tote in die neunte Unterwelt. Dort ist ein breites Wasser; Hunde sind die Fährleute. Es heißt, daß der Hund, wenn ein Toter kommt, nach ihm ausschaute; und wenn er seinen Herrn erkannte, so stürzte er sich ins Wasser, um ihn herüberzutragen. Deswegen züchteten die Eingeborenen vielfach Hunde.  Und man sagt, weiße und schwarze seien nicht imstande, die Toten nach dem Totenlande überzusetzen; der weiße spreche: »Ich habe mich soeben gewaschen«, der schwarze: »Ich habe mich soeben schwarz bemalt«; nur der gelbe kann es. In der neunten Unterwelt aber ist alles zu Ende.  - (azt)

Unterweltsreise (12)  Als er zu dem Orakel hinabgestiegen war, geriet er zuerst, so begann seine Erzählung, in düstere Finsternis. Dort betete er zu den Göttern und lag lange Zeit auf der Erde, ohne recht darüber klar zu -werden, ob er wache oder träume. Jedenfalls hatte er aber die Empfindung, als wenn er unter lautem Getöse einen Schlag gegen den Kopf erhielt, so daß die Nähte der Hirnschale auseinandertraten und die Seele hinausließen. Sie stieg in die Höhe, und mit Behagen mischte sie sich mit der reinen, durchsichtigen Luft. Zuerst kam es ihm vor, als wenn sie sich eine Weile erhole, nachdem sie vorher so lange Zeit eingesperrt gewesen sei. Sie schien auch immer größer zu werden, wie ein Segel, das man auseinanderfaltet. Dann hörte er undeutlich ein Rauschen, das über seinem Kopf dahinzog und eine liebliche Stimme erklingen ließ. Er blickte empor und sah die Erde nirgends mehr, statt-dessen aber Inseln, die in einem sanften Feuer leuchteten und nacheinander ihre Farben wechselten, je nachdem wie das Feuer mit dem Licht in ständiger Veränderlichkeit seine Färbung wandelte. Ihre Zahl schien unendlich zu sein und ihre Größe unermeßlich. Sie waren alle gleich rund, doch verschieden in ihrer Größe. Ihm war aber, als wenn der Äther von ihrem Kreisen vernehmlich rausche; denn die Leich­tigkeit ihrer Bewegungen stimmte zu der sanften Milde dieser Töne, die aus allen Tönen harmonisch zusammenklang. Zwischen diesen Inseln breitete sich ein See aus, der in den verschiedensten blauen Farben schimmerte. Einige Inseln schwammen durch eine Meerenge hin und gerieten über die Strömung hin­aus, zahlreiche andere wurden mit dieser Strömung des Meeres, das auch selbst fast im Kreise dahinglitt, fortgetragen. Die Tiefe des Wassers war an manchen Stellen beträchtlich, vor allem nach Süden zu; an manchen Stellen waren schmale, seichte Untiefen. Vielerorts trat es bald über die Ufer, bald zog es sich wieder zurück, doch hielt sich die Überflutung in mäßigen Grenzen. In der Farbe was das Wasser an manchen Stellen klar und rein, gleich dem Meer­wasser, an anderen trübe und unrein wie in stehenden Gewässern. Mit den Strömungen drehten sich die Inseln und kehrten zurück, indes nicht an dieselbe Stelle, an der sie anfänglich gewesen waren, auch schwammen sie nicht in einem Kreis, sondern an ihrer ersten Bahn entlang und beschrieben so bei ihrer Drehung eine Spirale. Etwa in der Mitte des Umfangs und an seiner längsten Seite war das Meer, wie ihm schien, um etwas weniger als den achten Teil des Ganzen einwärts gebogen. An dieser Stelle besaß es zwei Mündungen, durch die von entgegengesetzten Seiten zwei Feuerströme sich ergossen, so daß das blaue Meerwasser weit zurückgedrängt in heller Weiße aufschäumte.

Dieser Anblick nahm seine Sinne ganz gefangen. Als er aber in die Tiefe unter sich blickte, zeigte sich ihm ein unermeßlicher runder Schlund, als wenn eine Kugel herausgeschnitten wäre. Er war tief und von schreckenerregender Fürchterlichkeit. Bis an den Rand füllte ihn dunkle Finsternis, die keine Ruhe gab und immer wieder aufgerührt überzulaufen drohte. Aus solcher Tiefe drang Brüllen und Seufzen unzähliger Lebewesen empor, unzähliger Kinder Wimmern und verworrenes Klagen von Männern und Frauen. Ein dumpfes Lärmen und Tosen stieg unverständlich aus der Tiefe in die Höhe, so daß Timarchos von Schrecken gepackt wurde. Die Zeit verstrich, da sagte jemand, den er nicht sehen .konnte, zu ihm: ,Timarchos, was begehrst du zu wissen?', und er antwortete: ,Alles! Ist denn nicht alles wunderbar?* , Aber an der Oberwelt haben wir nur wenig Anteil', sagte die Stimme, ,das ist der Bereich anderer Götter. Doch den Teil der Persephone, der unter unserer Obhut steht und zu den vieren gehört, die der Styx umschließt, magst du nach Belieben betrachten.' Auf seine Frage, was denn der Styx sei, gab die Stimme zur Antwort: ,Der Weg in den Hades. Er fließt nach der entgegengesetzten Seite und mit seiner Spitze trennt er das Licht (von der Dunkelheit). Wenn er, wie du siehst, aus dem Hades heraus von unten her aufsteigt, dann wendet er sich da, wo er das Licht berührt, wieder um und trennt den letzten Teil vom Ganzen. Vier sind die Gebiete des Ganzen, des Lebens das erste, der Bewegung das zweite, des Werdens das dritte und des Vergehens schließlich das letzte. Die Monas aber, die Einheit, verbindet im Unsichtbaren mit dem zweiten das erste, der Verstand das zweite mit dem dritten im Bereich der Sonne und schließlich die Natur das dritte mit dem vierten im Gebiet des Mondes. An jeder Verbindung sitzt als Schließerin eine Moira, Töchter der Ananke, der Notwendigkeit, an der ersten Atropos, an der folgenden Klotho und an der Verbindung im Gebiet des Mondes Lachesis, wo der Weg sich umwendet zum Werden. Während nämlich die anderen Inseln alle Götter haben, ist der Mond das Gebiet der irdisehen Daimonen. Er flieht den Styx, über den er ein wenig hervorragt, doch wird er in einhundertundsiebenundsiebzig zweiten Maßen einmal von ihm er­reicht, und wenn sich der Styx dann nähert, erheben die Seelen ein ängstliches Geschrei, denn der Hades reißt viele von ihnen mit fort, wenn sie ausgleiten. Andere aber, die auf ihn zu schwimmen, nimmt der Mond mit sich in die Höhe, wenn die Vollendung ihres Werdens in einen günstigen Augenblick fällt. Doch gehören die Befleckten und Unreinen nicht dazu. Wollen sie sich dem Mond nähern, so treibt er sie mit fürchterlichem Blitzen und Brüllen zurück. Weinend über ihr unseliges Geschick gleiten sie wieder in die Tiefe hinab zu einem neuen Werden, wie du siehst.'

Timarchos versetzte: ,Ich sehe aber nur eine Unzahl von Sternen, die um den Schlund herumschwingen, andere, die in ihn hineintauchen oder aus ihm wieder heraussteigen.' ,Du weißt also nicht, daß du hier die Daimonen selbst siehst. Damit hat es solche Be­wandtnis. Jede Seele ist im Besitz eines Verstandes, und es gibt keine, die ohne Verstand oder Denken wäre. Nur wenn ein Seelenteil mit dem Fleisch und mit den Leidenschaften in Verbindung tritt, geht in ihm eine Wandlung vor, durch die Freuden und Schmerzen verliert er die Vernunft. Aber diese Ver­einigung mit dem Körper tritt nicht überall in der gleichen Weise ein. Einige Seelen senken sich ganz und gar in den Körper, und in die höchste Erregung getrieben, werden sie von den Leidenschaften im Leben ganz und gar zerrieben. Andere vermischen sich nur zum Teil, das Reinste, was sie besitzen, lassen sie außerhalb. Es läßt sich nicht mit hineinziehen, sondern schwimmt sozusagen an der Oberfläche und berührt nur leicht den Kopf des Menschen. Einer Boje gleich zeigt es den in die Tiefe gesunkenen Teil an. An ihm richtet sich die Seele auf, wenn sie zu gehorchen weiß und sich von den Leidenschaften nicht beherrschen läßt. Seele heißt nun der Teil, der in den Körper eingesenkt ist. Was von der Verderb­nis frei bleibt, nennen die meisten Verstand, und sie bilden sich ein, er wohne in ihnen selbst, als wenn in den Spiegeln darin steckte, was nur im Widerschein sichtbar wird. Wer aber bessere Einsicht besitzt, der weiß, daß der Verstand außerhalb wohnt und geben ihm den Namen Daimon.

Von den Sternen mußt du nun noch hören, Timarchos!, fuhr er fort. ,Wenn sie, wie es dir scheint, erlöschen, so wisse: du siehst Seelen, die ganz in die Körper sich versenken. Wenn andere gleichsam wie­der aufleuchten und aus der Tiefe emporscheinen und dabei Finsternis und Dunkel abstreifen wie Schmutz, so sind es die Seelen, die nach dem Tode aus den Körpern wieder zurückschwimmen. Und schließlich, die in der Höhe schweben, sind die Daimonen derer, die Verstand haben, wie man sagt. Nun versuche einmal, ob du bei dem einzelnen Daimon das Band sehen kannst, wie er mit der Seele verwachsen ist.' Da Timarchos dies hörte, beobachtete er noch schärfer und erkannte, wie von den Sternen die einen mehr, die anderen weniger schwankten. So sieht man auf dem Meer die Korken auf und ab hüpfen, mit denen die Fischer die Lage ihrer Netze sichtbar machen. Einige gleichen mit ihren wirren, wilden Windungen eher Spindeln, da sie keine Bewegung in gerader Richtung machen konnten. Auch dieses deutete die Stimme ihm. ,Wessen Bewegungen in rechter Ordnung vor sich gehen, der besitzt infolge seiner edlen Erziehung und Unterweisung eine leicht zu lenkende Seele, und in ihrem vernunftlosen Teil steckt nur wenig Härte und Wildheit. Wenn sie aber wirr und wild ohne Ruhe auf und ab sich bewegen, als wollten sie sich losreißen von ihren Fesseln, dann zanken sie mit ihrem eigenen Wesen, das infolge mangelnder Erziehung schwer zu lenken und widerspenstig ist. Dabei gewinnen die Seelen manchmal die Oberhand und wenden sich nach rechts, ein andermal wieder werden sie von den Leidenschaften bezwungen und von ihren Fehlern mitgerissen, so daß sie sich mit Gewalt dagegen sträuben müssen. Wenn nämlich der Daimon das Band, das wie ein Zügel über den un­vernünftigen Teil der Seele geworfen ist, anzieht, dann weckt er die Reue über die Vergehen und die Scham über die Vergnügungen, wenn sie unerlaubt und unbeherrscht waren. Dies sind im Innern des Menschen die Schmerzen und Schläge, mit denen der bessere, herrschende Teil die Seele zügeln kann, bis sie durch diese Strafen folgsam und gehorsam wird, wie ein zahmes Tier. Dann versteht sie ohne Schläge oder Schmerzen rasch jeden Wink und jedes Zeichen ihres Daimons. Solche Seelen werden erst spät und langsam zu ihrer Pflicht geführt. Aus jenen Seelen aber, die sich sogleich von ihrem Werden an von ihrem eigenen Daimon in freudigem Gehorsam len­ken lassen, geht das Geschlecht der Seher und gotterfüllten Menschen hervor.

Zu diesen gehört die Seele des Hermodoros aus Klazomenai, von der du gewiß gehört hast. Sie verließ den Körper bei Tag- und Nachtzeiten und wanderte weithin durch die Welt. Wenn sie in der Ferne überall an Reden und Taten teilgenommen hatte, kehrte sie zurück. Endlich verriet sein Weib das Geheimnis.
Da bemächtigten sich seine Feinde seines Körpers, als er seelenlos dalag, und verbrannten ihn mitsamt seinem Haus. Aber diese Erzählung ist nicht richtig, denn es war nicht die Seele, die den Körper verließ, sondern sie lockerte jedesmal das Band, das sie mit dem Daimon verband, und gab ihm so Gelegenheit, weit in der Welt umherzuwandern. So konnte er dann von allem, was er außerhalb gesehen und gehört hatte, berichten. Die Feinde aber, die seinen Körper während des Schlafes töteten, sind noch jetzt nicht ihrer Strafe im Tartaros ledig. Dies alles', fuhr die Stimme fort, ,wirst du in drei Monaten klarer er­kennen, junger Freund. Jetzt kehre zurück.' Als die Stimme schwieg, wollte Timarchos sich umwenden, um zu sehen, wer mit ihm gesprochen hatte. Aber er spürte wieder einen starken Schmerz am Kopf, als wenn er mit Gewalt zusammengepreßt würde, und nun sah und hörte er nicht mehr, was um ihn herum vor sich ging. Nach einer kurzen Weile kam er dann wieder zum Bewußtsein, und als er um sich blickte, lag er in der Höhle des Trophonios in der Nähe des Eingangs, wo er sich niedergelegt hatte.  - (plu)

Unterweltsreise (13)  Im Traum in den Hades hinabzusteigen und alles zu schauen, was dort nach allgemeiner Vorstellung existiert, bedeutet Menschen, die in guten Verhältnissen leben und denen es ganz nach Wunsch ergeht, Stillstand der Geschäfte und Schaden; denn die Hadesbewohner sind handlungsunfähig, gefühl- und bewegungslos. Dagegen zeigt es Furchtsamen, Besorgten oder Betrübten Sorgen-und Kummerlosigkeit an; denn die Hadesbewohner sind frei von Kummer und jeder Sorge ledig. Den übrigen Menschen kündigt es Reisen an oder vertreibt sie gänzlich aus ihrem derzeitigen Aufenthaltsort; die Alten pflegten nämlich von Leuten, die eine weite Reise angetreten haben, zu sagen, sie wären auf dem Weg in den Hades; zum anderen zeigt die Redeweise selbst an, daß die Hadesbewohner nicht mehr in derselben Umwelt leben wie ehedem.

Träumt einer, er steige aus dem Hades wieder zur Oberwelt empor, so wird er aus der Fremde in die Heimat zurückkehren, wenn nicht, sein Leben dort beenden. Häufig führt auch das Hinabsteigen in den Hades Leute, die im Ausland leben, in die Heimat zurück. Träumt man, in den Hades hinabgestiegen zu sein und am Aufstieg zur Menschenwelt gehindert zu werden, so wird man von gewissen Leuten gewaltsam festgehalten oder ins Gefängnis geworfen werden, vielen prophezeite das Gesicht langwierige Krankheit und demzufolge den Tod. Steigt man auf einem Fluchtweg wieder zur Oberwelt empor, rettet es den Kranken aus äußerster Lebensgefahr; wir pflegen auch in der Umgangssprache von einem Kranken, der wider Erwarten genesen ist, zu sagen, er sei aus dem Hades wieder aufgestiegen. - (art)

Unterweltsreise (14)

Unterweltsreise (15)  Hunahpu und Xbalanque machten sich auf den Weg, jeder mit seinem Blasrohr, und stiegen zur Unterwelt hinab. Mit Leichtigkeit stiegen sie hinab auf dem Abhang der Tiefe, wo sie heil über die verschiedenen Gewässer der Schluchten im Innern der Erde und mitten durch die Vogel[scharen], die Molay heißen, gelangten. Ferner kamen sie hinüber über den Eiter- und ßlutstrom, der eine Falle für sie werden sollte nach dem Wunsche derer von Xibalba; aber sie berührten ihn nicht mit den Füßen, da sie ihn auf dem Rücken ihrer Blasrohre überschritten. Danach kamen sie an die vier auseinanderlaufenden Wege. Aber sie wußten Bescheid mit den Wegen der Unterwelt, dem schwarzen, weißen, roten und grünen Weg. Von dort entsandten sie ein Tier, die Holzwespe. Dieses sandten sie aus, damit es Nachrichten einzöge über das, was sie gehört hatten. »Stich sie einzeln nacheinander; zunächst stich den, der als erster dasitzt, und laß sie so schließlich alle von dir gestochen werden. Es soll [künftig] deine Aufgabe sein, den Menschen auf den Wegen das Blut auszusau-gen.« So wurde zur Holzwespe gesprochen, »Gut«, erwiderte sie und schlug den schwarzen Weg ein. Und als sie hinter den holzgeschnitzten Puppen angekommen war, die als erstes Probestück dasaßen in ihrem vollen Putz, stach sie die erste; sie sagte nichts. Sie fuhr fort zu stechen und stach die zweite, die dasaß; auch sie sagte nichts. Da stach sie die dritte. Aber die dritte, die dasaß, war Hun came selbst. »O weh!« rief er in dem Augenblick, da er gestochen-wurde. »Was ist denn, Hun came? Was hat euch denn gestochen?« fragte Vukub came. »Was weiß ich!« antwortete Hun came. »O weh!« rief da schon wieder die vierte, die dasaß. »Was ist denn, Vukub came? Was hat euch denn gestochen?« fragte nun die fünfte, die dasaß ...

[So geht es weiter, bis alle zwölf Unterweltsfürsten gestochen sind.]

Auf diese Weise wurden ihre Namen laut ausgesprochen, weil sie alle einander damit anredeten; und sie wurden entlarvt, [dadurch daß] sie bei Namen genannt wurden,. .. weil sie durch ein Haar vom Kinn Hunahpus, das er sich ausgerissen hatte, gestochen wurden; denn es war keine richtige Holzwespe gewesen, durch die sie gestochen worden waren und die auf Veranlassung Hunahpus und Xbalanques ihre Namen erlauscht hatte.

Nun machten sich die Jünglinge auf den Weg und kamen an dem Orte an, wo die von Xibalba sich befanden. »Begrüßt den Fürsten«, sagte man, »der dort sitzt.« So sprach einer, der sie versuchen wollte. »Das ist kein Fürst, sondern nur eine Puppe, aus Holz geschnitzt«, erwiderten sie, als sie herangekommen waren. Darauf sprachen sie die Begrüßungsworte. »Seid willkommen, Hun came, Vukub came, Xi'quiripat, Cuchuma qui'c, Ahal puh, Ahal k'ana, Chamia bak, Chamia holom, Qui'c xic, Patan, Qui'c re, Qui'c rix k'a'k!« So sprachen sie, als sie herangekommen waren; und alle wurden endgültig entlarvt, dadurch, daß ihre Namen genannt wurden; es gab nicht einen, dessen Namen sie vergaßen. Es wäre ihnen lieber gewesen, wenn ihre Namen nicht durch die Jünglinge entdeckt worden wären!

»Setzt euch her«, sagten die Unterweltsfürsten nun zu ihnen; sie wollten, daß jene sich wenigstens auf dem Sitz niederließen. Aber Hunahpu und Xbalanque dachten nicht daran. »Das ist kern Sitz für uns; dieser Sitz ist ja ein glühender Stein«, sprachen sie und ließen sich nicht anführen. »Gut. Geht nun ins Haus«, sprach man zu ihnen. Darauf begaben sie sich ins »Haus der Finsternis«, ohne darin eine Niederlage zu erleiden. Es war der erste Prüfungsort von Xibalba; indem sie ihn betraten, sollte wieder, so dachten die von Xibalba, die Überwindung [der Jünglinge] beginnen. Sie betraten also zunächst das »Haus der Finsternis«. Da wurde ihnen eine brennende Fackel gegeben, und jedem wurde auch eine Zigarre durch den Boten Hun cames überbracht. »Da sind die Fackeln, spricht der Fürst. Die Fackeln sollen wiedergegeben werden, wenn der Morgen dämmert, und ebenso sollen dann auch die Zigarren wieder eingesammelt werden, spricht der Fürst.« So richteten es die Boten aus, als sie ankamen. »Gut«, antworteten jene. Aber die Fackeln wurden gar nicht richtig angezündet, es wurde nur etwas Rotes als Ersatz für das Feuer vorn darauf gesteckt, nämlich eine Ararafeder, die von den Wächtern für eine brennende Fackel angesehen wurde; und was die Zigarren betrifft, so setzten sie lediglich Leuchtkäfer auf ihre Spitzen. Eine ganze Nacht hindurch wurden so die Wächter durch Hunahpu und Xbalanque hinters Licht geführt. »Jetzt sind sie besiegt«, sagten die Wächter. Aber die Fackeln waren nicht aufgebraucht; ihr Kopf war der gleiche geblieben, und was die Zigarren betrifft, so hatten sie auch sie nicht entzündet, so daß die Spitzen noch so waren wie anfangs. Sie wurden den Fürsten überbracht. »Was sind das für Wesen? Wo sind sie hergekommen? Welcher Vater hat sie erzeugt, welche Mutter sie geboren? Wahrlich, unser Herz ist darüber in hellem Aufruhr! Es ist nicht gut, was sie uns antun; fremdartig ist ihr Äußeres, fremdartig auch ihr Wesen!« - So sprachen sie zueinander ...

[Nun folgt das erste Ballspiel mit den Fürsten der Unterwelt, bei dem diese mit ihrem eigenen Ball einen unerlaubten Wurf tun -der Ball trifft gegen das Hüftleder Hunahpus - und es infolgedessen zulassen müssen, daß die Jünglinge beim Spiel ihren eigenen Ball benutzen. - Dann sollen die Jünglinge Blumen holen, und zwar vier Krüge voll aus dem Garten der Unterweltsfürsten selbst. Sie senden Blattschneideameisen aus, die die Blumen abnagen, ohne daß es die beiden zu Wächtern des Gartens bestellten Nachtschwalben merken, denen zur Strafe dafür die Schnäbel gespalten werden. In diese letzte Geschichte ist der folgende kurze Bericht über den Aufenthalt im »Hause der Speere« eingeschoben; dann folgt der Besuch der vier übrigen Prüfungshäuser:]

Danach betraten die Jünglinge das »Haus der Speere«, den zweiten Prüfungsort von Xibalba. Es war wieder der Wunsch der Unterweltsmächte, daß sie durch die Speere zerschnitten würden, so schnell wie möglich, wie sie im stillen hofften; denn daß sie stürben, wäre nach ihrem Herzen gewesen. Aber sie kamen nicht zu Tode. Sie sprachen vielmehr zu den Speeren und befahlen ihnen: »Euer sei das Fleisch sämtlicher Tiere!« Und alle die Speere schwangen nicht mehr drohend hin und her, ein jeder senkte sich vor den Jünglingen . . .

Danach traten sie ein in das »Haus des Frostes«. Nicht zu zählen ist der Reif darinnen, und Eis findet sich in Massen im Innern des Hauses, im Haus des Frostes. Aber der Reif begann sogleich mit Hufe angezündeter Kiefernzapfen zu schmelzen und wurde schließlich durch die Jünglinge ganz vernichtet. Sie starben nicht, sondern waren noch lebendig, als der Morgen kam. Die von Xibalba hatten freilich gewünscht, daß sie darin zugrunde gingen; aber es kam nicht so, vielmehr waren sie wohl und munter, als es hell wurde. Sie traten heraus, als die Wächter wiederkamen, um sie zu holen. »Was, sind sie noch nicht tot?« riefen die Fürsten von Xibalba wieder. Und Staunen ergriff sie von neuem über das, was die Jünglinge Hunahpu und Xbalanque taten.

Danach betraten sie das »Haus der Jaguare«; es wimmelt darinnen von Jaguaren. »Ihr dürft uns nicht beißen; was euer ist, wird gleich zur Stelle sein«, sagten sie zu den Jaguaren. Darauf warfen sie den Tieren Knochen vor, und diese fielen gierig über die Knochen her. »Jetzt ist es mit ihnen aus, jetzt haben sie es erfahren [was es heißt, sich mit der Unterwelt zu messen]! Jetzt endlich haben sie sich ausgeliefert! Denn ihre Knochen sind zermalmt worden!« So sprachen die "Wächter, und alle [Unterweltsfürsten] waren im Innern froh darüber. Aber die Jünglinge waren nicht tot; sie waren im Gegenteil wohlauf, als sie aus dem Jaguarhaus hervorkamen. »Was für eine Art Menschen haben wir da vor uns? Wo sind sie hergekommen?« fragten alle Bewohner Xibalbas.

Danach begaben sich die Jünglinge wieder mitten ins Feuer, in ein »Haus im Feuer«, in dessen Innern nur Feuer lohte. Aber sie wurden dadurch nicht verbrannt, obwohl eine Siedehitze herrschte und das Feuer gleich Dornen stach, sondern fühlten sich ganz wohl und munter, als der Morgen kam. Man hätte gewünscht, sie waren auf der Stelle in dem Haus gestorben, aus dem sie wieder mit heiler Haut entkamen; aber es geschah nicht, und die von Xibalba verzehrten sich fast vor Ärger darüber.

Nunmehr wurden sie ins »Haus der Fledermäuse« versetzt, in dessen Innern es nur Fledermäuse gibt. Es ist ein ganzes Haus voll von köpf ab reiß enden Fledermäusen, mächtigen Tieren, denen das häutige Nasenblatt gleichsam als Waffe dient, mit der sie töten; auf der Stelle ist es um die geschehen, die den Fledermäusen darinnen zu Gesicht kommen. Während Hunahpu und Xbalanque in diesem Hause waren, schliefen sie stets nur in ihren Blasrohren und wurden so von den Insassen des Hauses nicht gebissen. Aber dennoch kamen sie dort zu Schaden, wenigstens einer von ihnen, weil eine Fledermaus vom Himmel herabkam; um ihre Macht zu zeigen, ließen die Fledermäuse sie handeln. Eine ganze Nacht hindurch dauerte es, daß die Fledermäuse sich berieten, wobei sie immer den Laut »Quilitz, quilitz« von sich gaben. Eine ganze Nacht hindurch taten sie dies; nur eine kleine Weile hörten sie damit auf, und die Fledermäuse flatterten dann nicht mehr umher, da sie sich auf dem einen Ende der Blasrohre niedergelassen hatten.

Xbalanque fragte Hunahpu: »Bricht schon der Morgen an? Sieh doch einmal nach.« - »Es dämmert vielleicht schon; ich will einmal Ausschau halten«, erwiderte er. Groß war Hunahpus Verlangen, einmal hinauszublicken aus der Mündung des Blasrohres; aber gerade, als er Ausschau halten wollte nach der Morgenröte, wurde ihm durch die Fledermaus der Kopf abgerissen; ohne Kopf blieb Hunahpu, der ältere der beiden Brüder, liegen. Noch einmal fragte Xbalanque: »Ist es denn noch nicht hell geworden?« Aber Hunahpu rührte sich nicht mehr. »Wie ist es nur möglich, daß Hunahpu fortgehen konnte! Wie konntest du das tun!« Aber Hunahpu rührte sich nicht mehr, sondern lag ausgestreckt da. Da schämte sich Xbalanque. »Wehe!« rief er. »Wir sind in ihre Hand gegeben!«

Die Bewohner der Unterwelt aber gingen, den Kopf Hunahpus über dem Ballspielplatz aufzuhängen.  - (azt)

Unterweltsreise (16)  Gegen Abend, oder gegen Morgen, oder gegen Mitternacht geht die unterirdische Jeepfahrt der beiden weiter, jetzt nicht mehr hinauf und hinunter, sondern nur noch tiefer, und tiefer. Sie halten auch keinmal mehr. Auch keine beleuchteten Zwischenstrecken mehr. Die Stollen ohne Maschinen und ohne einen einzigen Bergmann. Geradezu frenetisch wirkt nun diese Fahrt, halluzinatorisch, und für Momente ist es, als sei sie, die Frau, es, die am Steuer sitze. Als das Fahrzeug dann stoppt, jäh, lassen die Wolken von Salzstaub den Jeep beinahe unsichtbar werden: an dieser tiefsten Stelle des Grubensystems ist der Boden noch nicht so recht fest- und glattgefahren.

Die Kaliwolken legen sich. Die beiden sind ausgestiegen und stehen im Scheinwerferlicht, vor dem Abschluß des untersten Schachts,, einer Art blinden Tors in dem niedrig gewordenen Salzgewölbe knapp über ihren Häupten. Eine taube Stille herrscht, bis auf ein stetiges Knistern und Knacken in dem Gewölbe, im Hinhören für Momente geradezu zu einem Getöse verstärkt, einem weniger beängstigenden als wundersamen. Und wieder ist es, als suche der Salzherr Zuflucht im Erklären, im Erzählen: »Dieses Knistern kommt von der hier tausend Meter dicken Salzschicht über uns. So groß ist der Druck, daß sich in einem fort die Salzkörner verlagern. Tiefer hinunter geht es nicht mehr. Und tiefer hinunter wird hier wohl nie mehr geschürft werden. In allen sonst noch betriebenen Salzbergwerken Europas ist das Salz horizontal gelagert und deshalb leicht abzubauen. Hier aber vertikal. Wir haben uns von oben bis in die Tiefe durchgraben müssen. Die Tiefenförderung lohnt heute nicht mehr. Die anderen Werke mit Tiefenförderung sind stillgelegt. Hier haben Sie das letzte auf der ganzen Welt arbeitende Salzbergwerk mit Steiler Lagerung - so heißt das in unserer Sprache. Hier, in einem Kilometer Teufe, so heißt das in unserer Sprache.« Sie, auf sein Spiel eingehend: »Gibt es Lebewesen da?« - Er: »Nein, dazu ist es im Salz zu trocken. Nur kein Wasser im Bergwerk. Bei einem Wassereinbrach wäre es um den Salzdom geschehen. Selbst für Fledermäuse ist es zu trocken hier. Einmal freilich bin ich in der Nische eines Seitenstollens, weiter oben im Dom, auf eine Schleiereule gestoßen. Sie hat gelebt, und sie hat sich von mir ohne weiteres anfassen und retten lassen. Noch nie habe ich den Ruf einer Eule als Dankesruf gehört: aber ein solcher kam dann, bei ihrem Wegfliegen, oben im Freien..«  - Peter Handke, Kali. Eine Vorwintergeschichte. Frankfurt am Main 2ßß8

 

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