nterstadt
»Willkommen, mein Herr, in der Unterstadt«, höre ich eine
ruhige und entschlossene Stimme - sicher einer der vielen Spitzel. »Sie
sehen sehr würdig aus.«
Ich werfe einen Blick auf mein Äußeres und bemerke, daß
ich in ein langes dunkles Gewand gekleidet bin, das mir vage ekklesiatisches
Aussehen verleiht. Ich sehe mich um und finde mich am Anfang einer von gelblichen
Lampen beleuchteten Gasse. Da diese Gasse in Wirklichkeit mit einer Art von
Decke überdacht ist, habe ich den Eindruck, durch eine unterirdische
Straße zu gehen.
»Die Unterstadt«, fährt die wohlerzogene Stimme fort,
»bietet Ihnen das, was Sie anderswo nicht finden können. Alle Gesten,
die anderswo verboten sind, sind hier nicht nur gestattet, sondern nicht
selten obligatorisch; Sie können hier jegliche Wonnen genießen,
vorausgesetzt, daß sie jemandem Schmerzen bereiten, und sie können
jeglichen Wohlgeruch atmen, vorausgesetzt, er ist giftig. Wenn Sie nekrophile
Neigungen haben, dann sind wir in der Lage, Ihnen sehr ansehnliche Leichen
zu besorgen, die wir in Handarbeit herstellen; mit unseren Leichen können
Sie dann alles tun, was Sie wollen, auch mitten auf der Straße, es
gibt hier keine Diskretion, weil es hier keine Scham gibt. Hier wird die
Schamlosigkeit hoch geschätzt. Wir kennen keine Ruchlosigkeit, die nicht
philologisch erforscht wäre, und keine Sittsamkeit, von der nicht mit
allen Mitteln einer zielstrebigen Erziehungskampagne abgeraten würde.
Zunächst einmal sollten Sie wissen, daß die Unterstadt sich als
rationalen Ort vorschlägt - ohne den wie auch immer interpretierten
Begriff des Bösen -, und wenn viele der Meinung sind, daß dies
die Hölle der Hölle, die nächtlichste Nacht, die finsterste
Finsternis sei, sind wir der Meinung, daß das eine verzerrte und
bösartige Darstellung ist. Wir, mein lieber Herr, glauben nicht nur
an den Schmerz - was selbstverständlich ist -, sondein bekennen uns
zu ihm als dem Inbegriff unserer Wonnen. Darum lieben wir die Sadisten,
vergöttern die Masochisten und fördern jedwede Möglichkeit,
Leid, Angst und Schrecken zu verbreiten. Wichtig ist nur, daß alles
als Konsumgut verbreitet wird - ohne nutzlose innere Konflikte -, so wie
etwas, das unser Leben erst lebenswert macht... « - (
hoelle
)
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