Unterleben   Als sich das Gartentor jetzt hinter ihm geschlossen hatte und als er in die Dunkelheit von Fond Lane trat, fand er, daß in seiner geistigen Erschöpfung alle Arten sonderbarer kleiner Gegenstände, die er während seiner Dorseter Monate zufällig bemerkt hatte, auf ihn eindrangen. Der Glockengriff an Mrs. Herberts Tür, die weiße Schramme auf der Hand jenes alten Kellners im Lovelace, der verkümmerte Geißblattzweig in seinem Hinterhof — sein Gemüt mußte eine ganz merkbare Anstrengung machen, diese Dinge abzuschütteln.
„Ich habe eine Art von Unterleben", dachte er, „voll von morbiden Hieroglyphen. Etwas muß dort unten gestorben sein, und die Schmeißfliegen legen ihre Eier hinein."
Er sammelte alle Einbildungskraft, die er besaß, und ließ seinen Geist hinausschweifen, weit über diese stillen Weiten von Wiesengras und Ackerland. Er stellte sich, so lebhaft er konnte, alles vor, was in dem geduldigen Umkreis von Blacksod vor sich ging. Er folgte dem Huschen der Füchse durch die Haselnußgebüsche, den Regungen der Igel in ihrem Winterschlaf, dem Hocken der Vögel auf kalten Zweigen, dem Scharren der Maulwürfe unter ihren Hügeln, dem Atmen der Rinder in ihren Ställen.
Er stellte sich alle diese Dinge so lebhaft vor, eines nach dem anderen, daß er das Gefühl zu haben begann, als teilte er diese nächtlichen Bewegungen — als wäre er kein Fremder unter ihnen, sondern selbst ein heimliches, einsames Erdenleben unter anderen Erdenleben, das ebenso wie diese irgendeinen heilkräftigen Magnetismus aus dem dunklen, grünlich schwarzen Fell des großen Planetenkörpers zog. Und er dachte daran, wie stoisch all diese lebenden Geschöpfe — die geduldigen Bäume vor allen anderen — die kranken Teile ihrer Persönlichkeit erduldeten, jenes kranke Unterleben, in dem die Schmeißfliegen der Zersetzung an der Arbeit waren.
„Ich kann es tun", dachte er. „Es ist nicht für immer." Und in seinem Zwang griff er nach jenen beiden dunklen Hörnern der Nichtexistenz, vor deren kalter, schlüpfriger Berührung alles Fleisch zurückschreckt — nach dem Horn der Zeiten, ehe er geboren worden, und nach dem Horn der Zeiten, da er aufgehört haben würde, zu sein. „Ich kann weiterpflügen", sagte er zu sich.       - John Cowper Powys, Wolf Solent. Wien Hamburg 1986 (zuerst 1929)

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