Untergraben  Ich habe Spuren, um nicht zu sagen Nachrichten, von einer großen Masse Lügen, die im Finstern schleicht, von der du noch keine Ahndung zu haben scheinst. Glaube mir, unsere moralische und politische Welt ist mit unterirdischen Gängen, Kellern und Cloaken miniret, wie eine große Stadt zu seyn pflegt, an deren Zusammenhang, und ihrer Bewohnenden Verhältniße wohl niemand denkt und sinnt; nur wird es dem, der davon einige Kundschaft hat, viel begreiflicher, wenn da einmal der Erdboden einstürzt, dort einmal ein Rauch aus einer Schlucht aufsteigt, und hier wunderbare Stimmen gehört werden. Glaube mir, das Unterirdische geht so natürlich zu als das Überirdische, und wer bei Tage und unter freyem Himmel nicht Geister bannt, ruft sie um Mitternacht in keinem Gewölbe.   - Goethe an Lavater, nach: Cagliostro. Dokumente zu Aufklärung und Okkultismus. Hg. Klaus H. Kiefer. München und Weimar 1991 (Bibliothek des 18. Jahrhunderts)

Untergraben (2)  In weitem Bogen rings um die Vorstadt und um alle Dörfer in der Nähe war das Umfeld von einer unübersehbaren Vielzahl ausgedienter Schächte untergraben, aus denen seit vielen Menschenaltern Braunkohle gefördert worden war; die uralten Stollen, wabengleich das Erdinnere zergliedernd, teilweise seit einigen hundert Jahren unberührt, waren in ihrem ganzen Ausmaß mit der Zeit vergessen worden, ihre Ausdehnung war auf keinem Amt mehr bekannt; als die Provinzen für ausgekohlt galten, waren die Bergbaubehörden abgezogen und hatten die unterirdische Hinterlassenschaft dem Verwittern preisgegeben; die wechselnden Behörden der sich machtlüstern ablösenden Regimes hatten Akten und Lagepläne der Unterhöhlungen, die den Boden des Landes trügerisch machten, verschleudert oder mitgehen lassen . . . damit nicht die in die Gruben versenkten Leichen ihrer Feinde gefunden würden . . . damit die Burgen der jeweils neuen Sklavenhaltereien auf dünnen Decken errichtet würden, so wie die Gemeinheit der Oberen die ihnen zustehenden Fallen noch immer auf ihre Söhne und Töchter weiterzuvererben pflegte ... in einem Moment einer Nacht war eine der Fallgruben eingebrochen und hatte die Falschen verschluckt. - Wolfgang Hilbig, Alte Abdeckerei. Frankfurt am Main 1991

Untergraben (3)  »Ich nehme an,« bemerkte dasalte Weib, »Sie hängen immer noch dieser lächerlichen Einbildung an, Vheissu sei ein Codename für Venezuela.«

»So steht es tatsächlich in unseren Akten.«

»Sie sind doch klug, Ferrante. Sie vertrauen doch niemandem?«

Er zuckte die Achseln. »Könnte ich mir das leisten?«

»Ich glaube nicht. Nicht, wenn eine barbarische und unbekannte Rasse, von Gott weiß wem dazu gebracht, gerade dabei ist, das Eis der Antarktis mit Dynamit zu sprengen, und damit beginnt, sich in ein unterirdisches Tunnelnetz zu verkriechen, ein Tunnelnetz, dessen Existenz nur den Bewohnern von Vheissu, der Royal Geographie Society in London, Herrn Godolphin und den Spionen von Florenz bekannt ist.«

Ferrante hatte es die Sprache verschlagen. Sie sprach über den Inhalt des geheimen Memorandums, das Stencil vor gerade einer Stunde nach London zurückgeschickt hatte.

»Nachdem sie die Vulkane ihres Landes erforscht hatten«, fuhr sie fort, »waren gewisse Eingeborene aus Vheissu die ersten, die diese Tunnel entdeckten, die im Erdinnern liegen, in Tiefen zwischen ...«

»Aspetti!« rief Ferrante. »Sie träumen.«

»Sagen Sie doch die Wahrheit«, entgegnete sie scharf. »Sagen Sie mir, wofür Vheissu tatsächlich der Codename ist. Erzählen Sie mir, Sie Dummkopf, was ich schon längst weiß: daß es für Vesu-vius steht.« Dieses schreckliche Gegackere . . .

Es fiel ihm schwer zu atmen. Entweder hatte sie sich alles zusammengereimt, oder sie hatte es ausspioniert, oder man hatte es ihr erzählt. Wahrscheinlich war sie sicher. Aber wie hätte er sagen können: ich hasse Politik, internationale Politik oder die Kommunalpolitik, das ist gleichgültig. Und die Politik, die dazu geführt hat, hat auf dieselbe Weise funktioniert und ist ebenso abscheulich. Jeder hatte angenommen, daß es ein Codename für Venezuela war, bis sie die Engländer darüber informierten, daß es Vheissu tatsächlich gab. Da war die Aussage des jungen Gadrulfi, da waren die bestätigenden Daten der Geographie Society und des Board of Inquiry über die Vulkane, die man schon vor fünfzehn Jahren gesammelt hatte. Und seit damals kam ein Mosaiksteinchen zum anderen, und das Abfangen jenes einen Telegramms hatte eine quälende, einen ganzen Nachmittag andauernde Sitzung des Gebens und Nehmens, des Feilschens und Einschüchterns, der Bündnisschlüsse und heimlichen Händel zur Folge, bis Ferrante und sein Chef sich schließlich doch der beängstigenden Wahrheit zu stellen hatten: daß sie sich angesichts der als höchst wahrscheinlich anzunehmenden auch allgemeinen Gefahr mit den Engländern verbünden mußten. Daß sie es sich kaum leisten könnten, dies nicht zu tun.

»Nach allem, was ich weiß, könnte es auch für Venus stehen«, sagte er. »Bitte, ich kann mich darüber nicht unterhalten.«

Und wieder begann die alte Frau zu lachen, wieder begann sie, an ihrer Viola da Gamba herumzusägen. - (v)

 

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