Unter Tage    Im Norden ist Gestein niedergegangen, und es sind Schlagwetter in der Luft, sagte jemand. Er nickte und ging schweigend seiner Arbeitsstätte zu; durch Gänge und Stollen, eine halbe Stunde weit, bis der Stollen auf das schräg aufsteigende Flöz stieß. Eine Leiter führte hinaub an die hundert und mehr Meter tief, da nahm er die Lampe zwischen die Zähne und stieg in das gähnende Dunkel. Über ihm hing der Schiefer glatt und grau, neben ihm surrten, von Drahtseilen gezogen, die Förderwagen auf und nieder; es ist glühheiß, und der Schweiß perlt. Licht kommt von unten - Glückauf! - und er ist angelangt.

Sein Atem geht schwer, die Luft ist dick und drückend warm, und seine Kleider sind zum Auswringen feucht. Da wirft er sie ab und arbeitet nackt. Doch die Hacke liegt heute schwer wie Blei in der Hand und prallt fast wirkungslos von den schwarzen glitzernden Bruchflächen ab. Da setzt er sich hin, lehnt sein Arbeitszeug zwischen die Knie und starrt vor sich hin. Die Grubenlampe hat er auf einen Gesteinsvorsprung gestellt und schraubt jetzt ihr Licht auf einen kleinen Funken herab - da setzt sich eine blaue handgroße Aureole dem gelben Lichtpunkt auf.

Es ist Schlagwetter in der Luft-, das Barometer fiel, und im Norden, da hinten unter dem verlassenen Dorf, sind Gesteinsmassen niedergegangen. Dann tritt der Unsichtbare heraus aus seinem schwarzen Stein und schleicht durch die Gänge und Stollen, stülpt hier und da seine blaue Hand über ein Licht, und ein Funken fliegt in ihn, und mit drei-zehntausend Kalorien schlägt er durch den Stollen und verbrennt und zertrümmert, was er findet.

CH4, o ein tückischer Feind. So liegt und lauert der Wahnsinn auf den Gängen und Irrwegen des Lebens und zaubert seine blauen Aureolen und Wunderblumen, aber statt aus diesem Stollen zu flüchten, über dem der Wahnsinn hängt, freuen wir uns der Zauberblüten, bis der Funke in ihn fliegt und er unser Leben zerreißt und zerschlägt.

Was soll das in der Nacht und in dem Schweigen! Sieh, wie die blaue Blume da blüht und das Dunkel mich umkrallt und das Schweigen mir zuraunt. Bei der Vermoderung von Dingen, die einst gelebt, wird der Tückische geboren; aber die Deckgebirge, die die Meere über ihn gewälzt haben, halten ihn fest, bis wir kommen und sein Gefängnis lösen. Dann zischt und bläst und brodelt er aus dem schwarzen Stein und schlägt sich in Abbaue und hängt dort oben im Dunkel, hoch im Alten Mann; und kommt dann, wie heute, wo oben der Schnee fällt, aus seinen Schlupfwinkeln hervor und brütet und lauert über uns und wartet auf den Funken und schlägt dann mit seinem rasenden Druck und seinen fegenden Flammen unter der Erde her, schleudert die Wagen beiseite und preßt sie platt wie Papier, biegt und dreht die'Fördergestelle zu bizarren Schlangen und Knäueln und reißt sie im blitzschnellen Rückschlag wieder zurück; und sein Bundesgenoß, der trockene Staub, bringt sein Flammen und Rasen von Sohle zu Sohle - die Grube brennt! Dann stehen sie da oben am Tage und ringen die Hände und sammeln und senden Depeschen, aber was er und der Brand noch nicht erschlagen hat, das würgt nun der Schwaden - kein Leben mehr zu Berg, denn den Sauerstoff hat Er mit seinen zwei Riesenflammen verzehrt. O, es ist ein braver Feind, o das ist Lust, das ist Reiz! - Reiz? Der Reiz ist die Dunkelheit, die Grabesabgeschlossenheit und das ewige Schweigen. -  - Gustav Sack, Ein verbummelter Student. Stuttgart 1986 (zuerst 1918)

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