ngeschick  Annie  schlich auf Zehenspitzen zum Fenster, öffnete es, beugte sich hinaus. Zwei dunkle Mäntel waren gerade aus dem Wohnhaus getreten, und der eine von ihnen hob den hellen Fleck seines Gesichts zur Fassade empor. Schon reckte er den Zeigefinger in Annies Richtung.

«Aber da oben ist doch jemand!» hörte sie ihn zu seinem Komplizen sagen.

Die junge Frau warf sich zurück. Ihre Zähne schlugen fürchterlich aufeinander. Einen Augenblick später hörte sie sie schon die Treppe heraufkommen, sie nahmen die Stufen schnell, laut, forsch. In dem Moment wurde ihr jäh bewußt, daß sie ja eine Verrückte, eine Geisteskranke war, und daß Meyer nur fortgegangen war, um sie von Krankenpflegern mit prallem Geschlecht, die sie in die Irrenanstalt schaffen würden, abholen zu lassen. Und wie dann plötzlich ein Hagel Faustschläge auf die Wohnungstür niederging, stürmte Annie ins Badezimmer, ergriff Meyers großes Rasiermesser und schlitzte sich ungeschickt die Kehle auf. Beim Anblick des spritzenden Blutes packte sie helles Entsetzen. Sie stieß ein Brüllen aus. Und rannte genau m dem Augenblick in die Diele, als die Flics die Tür aufbrachen.

«Zu Hilfe!» schrie Annie ihnen zu, während sie, die Hände auf ihren Hals gepreßt, versuchte, ihr Blut zurückzuhalten.  - Jean-Patrick Manchette, Nada. München 2006 (zuerst 1972)

Ungeschick (2)  Im alten Hawaii war das Stehlen eine ehrliche Sache. Man pflegte es, doch mußte man auch gewisse natürliche Anlagen dafür mitbringen. Aus den Tagen von Kapitän Cook und der Entdeckung ist solch ein Häuptling bezeugt, der ausgezeichnet stehlen konnte. Als Cook die Insel Kauai auffand, kam als erster ein Häuptling namens Kapu puu (der heilige Berg) zu den Schiffen heraus. »Da gibt es viel Eisen (hao)«, sagte er. »Ich will ›hao‹ (stehlen) das hao, denn ›hao‹ ist mein Lebenselement.« Der Häuptling wurde jedoch dabei gefaßt; man schoß auf ihn, und er wurde getötet. Die Eingeborenen machten  Kapitän Cook seinen Tod niemals zum Vorwurf; der Dieb hatte sich eben ungeschickt benommen, denn das Stehlen galt erst als Verbrechen, wenn man sich dabei fassen ließ. - (sued)

Ungeschick (3)  Immer traurig sah er aus, lange Jahre war er hier, ihm glückte nichts, er fand nicht leicht, wenn wir Krystalle suchten oder Blumen. In die Ferne sah er schlecht, bunte Reihen gut zu legen wußte er nicht. Er zerbrach alles so leicht. Doch hatte keiner einen solchen Trieb und solche Lust am Sehn und Hören. Seit einer Zeit, - vorher eh jenes Kind in unsern Kreis trat, - ward er auf einmal heiter und geschickt. Eines Tages war er traurig ausgegangen, er kam nicht wieder, und die Nacht brach ein. Wir waren seinetwegen sehr in Sorgen; auf einmal, wie des Morgens Dämmerung kam, hörten wir m einem nahen Haine seine Stimme. Er sang ein hohes, frohes Lied; wir wunderten uns alle; der Lehrer sah mit einem Blick nach Morgen, wie ich ihn wohl nie wieder sehen werde. In unsre Mitte trat er bald, und brachte, mit unaussprechlicher Seligkeit im Antlitz, ein unscheinbares Steinchen von seltsamer Gestalt. Der Lehrer nahm es m die Hand, und küßte ihn lange, dann sah er uns mit nassen Augen an und legte dieses Steinchen auf einen leeren Platz, der mitten unter andern Steinen lag, gerade wo wie Strahlen viele Reihen sich berührten. - Novalis, Die Lehrlinge zu Sais

 

 

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