nerschrockenheit    Der berühmte Maler Le Brun stellte sich an einen Ort, wo er sie ganz genau beobachten konnte, um den Ausdruck der Todesfurcht vor einer gewaltsamen Hinrichtung von ihrem Gesicht abzuzeichnen. Doch er fand nicht, was er suchte. Die Marquise, mit dem Bild des Todes, den sie so oft mit eigner Hand ausgeteilt hatte, durch lange Übung vertraut, hatte eine Härte erlangt, die sie selbst gegen ihren eignen Tod unempfindlich machte. Sie verlor die Geistesgegenwart so wenig, daß sie, schon auf dem Wege zum Richtplatz, wo ein schmerzvoller Tod sie erwartete, in der schimpflichsten Lage, in der sich ein Mensch befinden kann, alles, was um sie her vorging, ganz frei und unerschrocken beobachtete. Einige vornehme Damen, welche die Neugierde auch herbeigeführt hatte, faßte sie mit einem festen Blick ins Auge und sagte ihnen ganz bitter: »In der Tat, ein sehr schönes Schauspiel für Sie, meine Damen!« - (pit)

Unerschrockenheit (2)   Ostorius war  auf einem entfernten Landgut in Ligurien. Nero schickte ihm einen Centurio, der ihn schnell aus der Welt schaffen sollte. Er hatte es deshalb mit dessen Tode so eilig, weil dieser ein berühmter Kriegsmann war, sich in Britannien die Bürgerkrone geholt hatte und einen riesigen, waffengeübten Körper hatte. Nero fürchtete immer, er werde ihn einmal anfallen. Er war bekanntlich ängstlicher Natur, und die jüngst aufgedeckte Verschwörung hatte ihn noch schreckhafter gemacht. Der Centurio also sperrte die Villa ab und teilte Ostorius den kaiserlichen Befehl mit. Ostorius bewies auch gegen sich selber seine oft vor dem Feinde erprobte Unerschrockenheit. Weil aus den Adern, die er sich aufgerissen, zu wenig Blut herauskam, mußte ein Sklave einen Dolch vor ihn hinhalten, durfte aber nicht zustoßen. Ostorius selber drückte dessen Hand zu sich heran und durchbohrte sich die Kehle. - (tac)

Unerschrockenheit (3)  Es war genau ein Uhr. Mr. Otis war ganz ruhig, er befühlte seinen Puls, der völlig normal war. Das ihm fremde Geräusch dauerte immer noch an; zugleich aber hörte er nun, ganz genau unterscheidbar, Fußtritte. Mr. Otis schlüpfte in seine Hausschuhe, nahm ein längliches Fläschchen aus seinem Necessaire und öffnete die Tür. Gerade sich gegenüber sah er da im blassen Mondlicht einen alten Mann von gruseligem Aussehen stehen.

Seine Augen waren so rot wie glühende Kohlen, langes graues Haar fiel in wirren Strähnen über seine Schultern, seine Kleider, die einen altertümlichen Schnitt hatten, waren schmutzig und zerrissen, und von seinen Handgelenken und Knöcheln hingen schwere, rostige Hand- und Fußschellen. «Mein lieber Herr», sagte Mr. Otis, «ich muß Sie wirklich darum bitten, ihre Ketten zu ölen, und habe Ihnen zu diesem Zweck eine kleine Flasche Tammanys Masehinenschmieröl ‹Morgenröte› mitgebracht. Die Gebrauchsanweisung besagt, daß schon eine einmalige Anwendung völlig genügt; dies bestätigen auch mehrere Atteste, die von einigen unserer prominentesten Theologen stammen. Ich werde es für Sie hier neben die Kerzen vor mein Schlafzimmer stellen, und es soll mich freuen, Sie mit mehr zu versorgen, wenn Sie es brauchen sollten.» Mit diesen Worten legte der Gesandte der Vereinigten Staaten das Fläschchen auf ein Marmortischchen, zog sich in sein Schlafzimmer zurück und schloß die Tür.

Für einen Augenblick stand der Geist von Canterville völlig sprachlos und unbeweglich in erklärlicher Entrüstung; dann aber warf er wütend die Flasche auf den gebohnerten Fußboden und floh den Korridor hinab, indem er hohltönendes Stöhnen ausstieß und gespenstisches grünes Licht um sich verbreitete. Im selben Augenblick jedoch, als er die oberste Stufe der breiten eichenen Treppe erreichte, öffnete sich eine Tür, zwei kleine weißumhüllte Gestalten erschienen, und ein großes Kissen flog an seinem Kopf vorbei! Da hieß es nun keine Zeit mehr verlieren, und so benutzte er eiligst die vierte Dimension als Mittel zur Flucht und verschwand durch die Wandtäfelung.  - Oscar Wilde, Das Gespenst von Canterville, in: O. W., Lord Arthur Saviles Verbrechen. Stuttgart 1984 (Bibliothek von Babel 30, Hg. Jorge Luis Borges)

Unerschrockenheit (4)  Er besaß die natürliche Sicherheit eines unerschrockenen Mannes. Nach einer halbstündigen Unterhaltung im Eßzimmer, während der sie beide auf geradezu erstaunliche Weise miteinander Kontakt bekamen, sagte uns Rita in ihrer besten grande dâme-Manier: »Mais il est parfait, cet homme.« Ja, er war vollkommen. Wenn er an Bord der ›Tremolino‹ in seinen schwarzen caban, den malerischen Mantel der Seeleute des Mittelmeers, gehüllt dastand, sah er mit seinem buschigen Schnurrbart und den harten Augen, die aus dem Schatten der tiefen Kapuze hervorblickten, wie ein Pirat, wie ein Mönch aus, der düster eingeweiht ist in die schrecklichsten Geheimnisse des Meeres.  - (con)

Unerschrockenheit (4)

 

Unempfindlichkeit Erschrecken

 

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