nerklärliches   Von Prometheus berichten vier Sagen:

Nach der ersten wurde er, weil er die Götter an die Menschen verraten hatte, am Kaukasus festgeschmiedet, und die Götter schickten Adler, die von seiner immer wachsenden Leber fraßen.

Nach der zweiten drückte sich Prometheus im Schmerz vor den zuhackenden Schnäbeln immer tiefer in den Felsen, bis er mit ihm eins wurde.

Nach der dritten wurde in den Jahrtausenden sein Verrat vergessen, die Götter vergaßen, die Adler, er selbst.

Nach der vierten wurde man des grundlos Gewordenen müde. Die Götter wurden müde, die Adler wurden müde, die Wunde schloß sich müde.

Blieb das unerklärliche Felsgebirge. - Franz Kafka, nach (hochz)

Unerklärliches (2) «WER kann sich schmeicheln, jemals verstanden zu werden? Wir sterben alle, ohne erkannt zu sein.» Dieses Wort, das Balzac einmal wie beiläufig ausspricht, kann ein Wegweiser für alle diejenigen sein, die in den Mittelpunkt seines Werks und seiner Seele eindringen wollen. Balzac fühlte in sich etwas, was keiner verstand und keiner erkannte. Aller Ruhm und alle Liebe, die ihm zuteil wurden, konnten daran nichts ändern. In ihm war ein Geheimnis, das er mit sich ins Grab nehmen würde. «Die modernen Mythen werden noch weniger verstanden als die alten Mythen», sagt er anderswo von seinem Werk. Auch diese Worte, obwohl sie sich nicht auf die tiefste Schicht seines Wesens beziehen, kommen aus dem gleichen Bewußtsein des Geheimnisses.

In seinen Briefen finden wir es wieder. Auf der Schwelle zwischen Jugend und Mannesalter - 1828 - bekennt er: «Ich bin alt an Leiden, und Sie würden nach meinem frohen Gesicht mein Alter nie erraten haben. Ich habe nicht etwa Schicksalsschläge zu erdulden gehabt, sondern ich bin immer von einer furchtbaren Last niedergebeugt gewesen. Das kann Ihnen als Übertreibung erscheinen, als eine Art, Ihr Interesse auf mich zu ziehen; nein, denn nichts kann Ihnen einen Begriff von meinem Leben bis zu zweiundzwanzig Jahren geben. Ich bin ganz erstaunt, daß ich jetzt nur noch mit dem Schicksal zu kämpfen habe. Wenn Sie meine ganze Umgebung befragten, würden Sie doch keinerlei Licht über die Natur meines Unglücks erhalten. Es gibt Leute, die sterben, ohne daß der Arzt hat sagen können, was für eine Krankheit sie hingerafft hat.»

Neun Jahre später schreibt Balzac an Frau von Hanska: «Ich bin unerklärlich für alle, keiner kennt das Geheimnis meines Lebens, und ich will es keinem preisgeben»; und an dieselbe nach weiteren sechs Jahren: «Seitdem ich existiere, ist mein Leben beherrscht vom Herzen, und das ist ein Geheimnis, das ich sorgfältig verberge; ich habe selbst dir nicht alles gezeigt, dir, der Vielgeliebten und der Einziggeliebten.» - Ernst Robert Curtius, Balzac. Bern 1951

Unerklärlich (3)  ist die Entstehung von Wasserhosen auf dem Meer. Die Meteorologen (Buchan) beteuern jetzt, die Wasserhose habe die Wassermasse nicht aus dem Meer aufgesaugt, denn es sei süßes Wasser. Die Wasserhose beginnt mit einer schwarzen Wolke, aus welcher ein Wasserpfeiler einem Elefantenrüssel gleich herabschießt. Dieser Wasserpfeiler ist so enorm, daß die gelehrtesten Leute über die Kraft nachgedacht haben, die denselben von oben lenkt. Früher riet man auf ein Vakuum, das eine Pumpe bildete; später auf Elektrizität; und dann hörte man auf, nachzudenken; beschränkte sich darauf, zu berichten, ohne es mit Wurzelzeichen und Integralen zu versuchen. Und das ist wohlgetan. Aber das Wunder bleibt bestehen: daß eine schwarze Wolke Tausende von Tonnen Wasser schwebend halten und sie sogar wieder in die Höhe saugen kann.

Die Zeit der Wunder ist nicht vorbei, und sie sind alle in der Physik und Chemie verzeichnet, deren Erklärungen so dumm sind, daß das Wunder als solches fortdauert.  - (blau)

Unerklärliches  (4) Die Ohnmacht, die er gehabt, sagte Cagliostro, wäre eine Plage der bösen Geister gewesen, und daher entstanden, weil mein Vetter den Kreis, der uns eingeschlossen, übertreten hätte; denn bei jeder Zitation regten sich die bösen Geister, und wären wider den in Aufruhr, der, auf Geheiß des guten Principiums, die Zitation machte. Durch den magischen Kreis wären sie gefesselt und ihrer Wirkung beraubt. Da ich sagte, daß mir es unbegreiflich sei, wie ein bloßer Strich mit dem Degen die Geister so im Zwange halten könne, erwiderte er: Die Wirkung des Magnetes sei noch unerklärlicher; aber der magische Zirkel, und die Kraft, die er habe, wäre dem verständlich, der durch diesen die bösen Geister zwingen könne. Diese Erklärung gab uns freilich kein helleres Licht; aber vielleicht fassen wir sie dann, wenn wir weitere Schritte in dieser erhabenen Wissenschaft tun. - Elise von der Recke, nach: Cagliostro. Dokumente zu Aufklärung und Okkultismus. Hg. Klaus H. Kiefer. München, Leipzig und Weimar 1991  (Bibliothek des 18.Jahrhunderts)

Unerklärliches  (5)  Auf einem Dorfe in Schottland verkauft man Bücher, die enthalten irgendwo in dem Band verstreut eine weiße Seite. Wenn ein Leser Schlag drei Uhr nachmittags auf jene Seite stößt, so stirbt er.

Auf dem Quirinalsplatz in Rom gibt es einen Punkt, der den Eingeweihten bis ins neunzehnte Jahrhundert bekannt war. Von ihm aus sieht man bei Vollmond die Statuen der Dioskuren sich langsam beleben und mit ihren aufgebäumten Rössern kämpfen.

In Amalfi gibt es dort, wo der Küstenstreifen endet, eine Mole, die geht in das Meer und die Nacht. Weit hinter dem letzten Feuerzeichen hört man einen Hund bellen.

Ein Mann ist im Begriff, Zahnpasta auf die Zahnbürste zu drücken. Plötzlich sieht er das auf dem Rücken liegende verkleinerte Bild einer Frau, aus Koralle oder auch gemalten Brotkrumen.

Beim Öffnen des Kleiderschranks, um ein Hemd herauszunehmen, fällt ein alter Kalender heraus, der sich auflöst, entblättert, die weiße Wäsche mit tausenden schmutziger Papierschmetterlinge bedeckt. Man weiß von einem Handelsreisenden, dem das linke Handgelenk zu schmerzen begann, gerade unter der Armbanduhr. Als er die Uhr abstreifte, schoß das Blut hervor: die Wunde trug die Spuren einiger sehr feiner Zähne.

Man weiß von einem Handelsreisenden, dem das linke Handgelenk zu schmerzen begann, gerade unter der Armbanduhr. Als er die Uhr abstreifte, schoß das Blut hervor: die Wunde trug die Spuren einiger sehr feiner Zähne.    -

Der Arzt hat seine Untersuchung beendet und beruhigt uns. Seine ernste und herzliche Stimme ist heilsam schon wie jene Arzneien, für die er jetzt an seinem Tisch das Rezept schreibt. Dann und wann hebt er den Kopf und lächelt uns ermutigend zu.  Es ist nichts Ernstes, in einer Woche sind wir wieder wohlauf.  Glücklich machen wir es uns in unserem Lehnstuhl bequem und blicken zerstreut in die Runde. Plötzlich sehen wir in dem Halbdunkel unter dem Tisch die Beine des Arztes. Er hat die Hosen bis zu den Oberschenkeln gerafft und trägt Damenstrümpfe.   - Julio Cortázar, Muster einer Unterweisung in der Form, Furcht zu haben. Nach (cron)

 

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