nentschiedenheit Angesichts der subjektiven Einflüsse und der Unsicherheiten bei allen Konstruktionen unseres Denkens war Brouwer bestrebt, die Mathematik möglichst konservativ auf der kleinsten und sichersten «Insel» jener Intuitionen zu begründen, die seiner Meinung nach unbezweifelbar unser Gemeingut sind. Für Brouwer bestand diese Insel aus den «natürlichen» Zahlen l, 2, 3... und einfachen Zählverfahren. In diesem Sinne definierte er Mathematik als das Gebäude, das sich in endlich vielen Schritten durch stufenweise Deduktion auf diesem Fundament konstruieren läßt.

Dies klingt harmlos, aber eine auf diese «intuitive» Weise definierte Mathematik erwies sich als ein viel kleineres System als das, was Brouwers Zeitgenossen unter «Mathematik» verstanden. Dieses Gedankengebäude schließt solche vertrauten Begriffe wie «Unendlichkeit» aus und zerstörte die Eckpfeiler des logischen Schließens: In ihm gehören nur solche Aussagen zur Mathematik, die sich durch eine endliche Folge konstruktiver Schritte beweisen lassen. Damit hat das alte logische Verfahren der reductio ad absurdum, also der indirekte Beweis durch Widerspruch, keine Gültigkeit mehr. (Der indirekte Beweis dafür, daß eine Aussage wahr ist, besteht darin zu zeigen, daß es zu einem logischen Widerspruch führt, wenn diese Aussage nicht wahr wäre.) Diese traditionelle Form des logischen Widerspruchsbeweises konstruiert die wahre Aussage allerdings nicht in einer Folge von logischen Schritten; vielmehr zeigt sie nur, daß ein logischer Widerspruch entstehen würde, wenn die Aussage falsch wäre. Dies klingt ganz annehmbar, beruht aber, wie wir bemerken müssen, auf der Bedingung, daß eine Aussage entweder wahr oder falsch ist. Dieses sogenannte Prinzip des ausgeschlossenen Dritten erkannte Brouwer nicht an, sondern er ließ als «Drittes» ein «Unentschieden» zu, das er solchen Aussagen zuschrieb, deren Wahrheit oder Falschheit nicht in einer endlichen Anzahl deduktiver Schritte aufweisbar war. - (bar)

Unentschiedenheit (2) Wir haben Träume; ist nicht etwan das ganze Leben ein Traum? - oder bestimmter: giebt es ein sicheres Kriterium zwischen Traum und Wirklichkeit? zwischen Phantasmen und realen Objekten? - Das Vorgeben der geringern Lebhaftigkeit und Deutlichkeit der geträumten, als der wirklichen Anschauung, verdient gar keine Berücksichtigung; da noch Keiner diese beiden zum Vergleich neben einander gehalten hat; sondern man nur die Erinnerung des Traumes vergleichen konnte mit der gegenwärtigen Wirklichkeit. - Kant löst die Frage so: »Der Zusammenhang der Vorstellungen unter sich nach dem Gesetze der Kausalität unterscheidet das Leben vom Traum.« - Aber auch im Traume hängt alles Einzelne ebenfalls nach dem Satz vom Grunde in allen seinen Gestalten zusammen, und dieser Zusammenhang bricht bloß ab zwischen dem Leben und dem Traume und zwischen den einzelnen Träumen. Kants Antwort könnte daher nur noch so lauten: der lange Traum (das Leben) hat in sich durchgängigen Zusammenhang gemäß dem Satz vom Grunde, nicht aber mit den kurzen Träumen; obgleich jeder von diesen in sich den selben Zusammenhang hat: zwischen diesen und jenem also ist jene Brücke abgebrochen und daran unterscheidet man beide. -

Jedoch eine Untersuchung, ob etwas geträumt oder geschehn sei, nach diesem Kriterium anzustellen, wäre sehr schwierig und oft unmöglich; da wir keineswegs im Stande sind, zwischen jeder erlebten Begebenheit und dem gegenwärtigen Augenblick den kausalen Zusammenhang Glied vor Glied zu verfolgen, deswegen aber doch nicht sie für geträumt erklären. Darum bedient man sich im wirklichen Leben, um Traum von Wirklichkeit zu unterscheiden, gemeiniglich nicht jener Art der Untersuchung. Das allein sichere Kriterium zur Unterscheidung des Traumes von der Wirklichkeit ist in der That kein anderes, als das ganz empirische des Erwachens, durch welches allerdings der Kausalzusammenhang zwischen den geträumten Begebenheiten und denen des wachen Lebens ausdrücklich und fühlbar abgebrochen wird. Einen vortrefflichen Beleg hiezu giebt die Bemerkung, welche Hobbes im Leviathan macht: nämlich daß wir Träume dann leicht auch hinterher für Wirklichkeit halten, wann wir, ohne es zu beabsichtigen, angekleidet geschlafen haben, vorzüglich aber, wann noch hinzukommt, daß irgend ein Unternehmen, oder Vorhaben, alle unsere Gedanken einnimmt und uns im Traum eben so wie im Wachen beschäftigt: in diesen Fällen wird nämlich das Erwachen fast so wenig als das Einschlafen bemerkt, Traum fließt mit Wirklichkeit zusammen und wird mit ihr vermengt. Dann bleibt freilich nur noch die Anwendung des Kantischen Kriteriums übrig: wenn nun aber nachher, wie es oft der Fall ist, der kausale Zusammenhang mit der Gegenwart, oder dessen Abwesenheit, schlechterdings nicht auszumitteln ist, so muß es auf immer unentschieden bleiben, ob ein Vorfall geträumt oder geschehn sei. - Hier tritt nun in der That die enge Verwandtschaft zwischen Leben und Traum sehr nahe an uns heran: auch wollen wir uns nicht schämen sie einzu-gestehn, nachdem sie von vielen großen Geistern anerkannt und ausgesprochen worden ist. Die Veden und Puranas wissen für die ganze Erkenntniß der wirklichen Welt, welche sie das Gewebe der Maja nennen, keinen bessern Vergleich und brauchen keinen häufiger, als den Traum. Plato sagt öfter, daß die Menschen nur im Traume leben, der Philosoph allein sich zu wachen bestrebe. Pindaros sagt: Der Traum eines Schattens ist der Mensch. - Veden, nach (wv)

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