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der Sakristei neben der Apsis fand Blake ein altes wurmzerfressenes Schreibpult
und bis an die Decke reichende Regale voll verschimmelter Bücher. Hier empfand
er zum ersten Mal einen ausgesprochenen Schock, eine würgende Bangigkeit stieg
ihm in den Hals; denn als er einige der Buchtitel las, war er sofort im Bilde,
um welche Art von Literatur es sich hier handelte. Es waren jene grauenhaften
verbotenen Schriften, die den meisten normalen Menschen nie oder nur ganz selten
vor die Augen kommen, schwarze, verrufene Undinge, verruchte, ungeheuerliche
Beschwörungen, Texte aus den urältesten Tagen der Menschheit und lichtscheues
Wissen um Dinge aus der Zeit, da noch kein Mensch diese Erde betreten hatte,
Botschaften aus den frühen chaotischen Schleimnebeln dieser Welt. Er selbst
hatte manche dieser abscheulichen Bücher gelesen - eine lateinische Version
des schrecklichen Necronomicon, das entsetzliche Liber Ivonis, das verabscheuenswerte
Culte des Goules des Grafen d'Erlette, die Unaussprechlichen Kulte von Junzt
und Ludvig Prinns De Vermis Mysteriis. Aber auch andere Werke, solche, von denen
er bloß gehört hatte oder die er gar nicht kannte - darunter die Pnakotischen
Manuskripte, das Buch von Dyzan und ein kaum noch lesbarer Band, der in einer
Schrift abgefaßt war, die Blake nicht kannte, die aber gewisse Zeichen und Symbole
enthielt, welche in jedem Erforscher des Okkulten eisige Schauder erregen mußten.
Offensichtlich konnten die lokalen Gerüchte nicht gelogen haben: dieser Ort
war einmal der Sitz eines Übels gewesen, eines Übels älter als die Menschheit
und größer als das bekannte Universum!
- H. P. Lovecraft, Der leuchtende Trapezoeder. In: Cthulhu. Geistergeschichten.
Übs. H. C. Artmann. Frankfurt am Main 1972 (st 29, zuerst 1928)
Unding (2) Ihre Hand griff fest in meine Schulter, sie zog mich irn Schlaf heftig an sich, ja nun umklammerte sie meinen Hals und riß wie eine Ertrinkende an mir - und dann plötzlich stieß sie einen grellen Schrei hervor, der souveräne Leib krümmte sich in qualvoller Not, und in derselben Sekunde spürte ich — welch abscheuliche Berührung! - unter meinem sie umgreifenden Arm einen nassen, kalten Buckel sich hervorheben; eine Beule, ein Unding, ein Ausbund trat zwischen den Rippen hervor, ein Klumpen Leben löste sich aus ihrem Rücken, entschlüpfte, huschte glitschig heraus und, ohne daß ich es fassen konnte, war es schon mit Schritt und Tritt versehen und konnte in die Kammer davonspringen.
Meine Nachtgefährtin war über diesem Vorfall so wenig wie von ihren Schreien
zuvor erwacht. Sie stieß vielmehr mit tieferen, beeilteren Atemzügen voraus,
als gelte es, im Schlaf ein rettendes Ufer zu gewinnen. Ich strich mit der Hand
vorsichtig über ihren Rücken, doch nichts war dort zu spüren, keine Unebenheit,
keine Lappung, kein Riß — obgleich doch eben unter meinem Arm dieser eklige
Buckel, diese feuchte Geschwulst hervorgekrochen und abgesprungen war. Ich richtete
mich auf, und was ich nun erblickte, ließ mir das Blut in den Adern gerinnen.
In die Kammer fiel von außen kein Licht. Doch die weiße, ja totenweiße Haut
jenes Wesens, das dort neben der schmalen Tür verharrte, leuchtete wie Mondschein
Jm Finsteren. Es mochte nicht größer als ein Nachtkasten sein, hatte den Leib
eines Kinds oder Zwergs, doch sein Schädel war ausgewachsen und der eines älteren,
zermürbten Manns. Vor allem die obere Partie des wuchtigen Haupts erinnerte
an die breite und freie Stirn einer mir wohlbekannten Dichterfigur, währenddessen
die übrigen Züge, von den Wangen abwärts, unverkennbar denen eines einzigartigen
Machthabers und Gewaltverbrechers glichen. Nein, es gab keinen Zweifel: auf
dem blutleeren Antlitz flimmerten eine Hälfte Baudelaire und eine Hälfte Hitler.
Der Geburtsschmutz rann dem Gnom von den Schläfen zum Kinn. Er stierte trübe,
zerstört und besorgt vor sich hin. - Botho Strauß, Der junge Mann. München 1984
Unding (3) Schwungvoll wollte ich weiterschreiten, da machte mich ein wahres Unding stutzen. In dieser Stadt, die sich gern rühmt und sich noch lieber rühmen läßt, daß ihre Mauern Seltsamstes zu bieten hätten und die auch manche Kuriosität zu bieten weiß, hatte ich nie eine Installation wie diese, eine so widersinnig angebrachte Tür gesehen. Ihr eiserner Türstock, ihre Schwelle und ihr Flügel aus trübem Glas waren, parallel zum Boden des Korridors, in dessen Decke eingelassen. Von oben ragte die Klinke in meinen Weg, hing mir, verlockend nah, vor Augen - jedoch entdeckte ich kein Hilfsmittel, kein Höckerchen, nicht einmal eine Kiste, die mir den Aufstieg in den über mir gelegenen Raum ermöglicht hätte.
Ich trat unter das Blatt der Tür und konnte, den Kopf im Nacken, eine ins Glas geschliffene Inschrift lesen:
Hitzik&Hitzik
Geschäfte aller Art
Das reichte aus, mich, ohne weiteres Überlegen, handeln zu lassen.
Ich wippte auf die Zehen, griff zu und ließ die Klinke schnappen. Die
Tür kam mir, ich hätte es vorhersehen müssen, sofort entgegen.
Entriegelt stürzte sie, nur noch gehalten von den Angeln, schräg auf
mich nieder, die Klinke schrammte über meine Stirn, bevor das
Aufschwingen auf meinem Schädel und meinen verspätet hochgeschnellten
Händen sein Ende fand. - Georg Klein,
Barbar Rosa. Berlin
2001
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