ndeutlichkeit  Goethe sagte mir ein Mal, daß wenn er eine Seite im Kant lese, ihm zu Muthe würde, als träte er in ein helles Zimmer. Die schlechten Köpfe sind es nicht bloß dadurch, daß sie schief sind und mithin falsch urtheilen; sondern zunächst durch die Undeutlichkeit ihres gesammten Denkens, als welches dem Sehn durch ein schlechtes Fernrohr, in welchem alle Umrisse undeutlich und wie verwischt erscheinen und die verschiedenen Gegenstände in einander laufen, zu vergleichen ist. Die Forderung der Deutlichkeit der Begriffe, vor welcher der schwache Verstand solcher Köpfe zurückbebt, machen diese daher selbst nicht an ihn; sondern sie behelfen sich mit einem Helldunkel, in welchem sich zu beruhigen sie gern nach Worten greifen, zumal nach solchen, die unbestimmte, sehr abstrakte, ungewöhnliche und schwer zu erklärende Begriffe bezeichnen, wie z. B. Unendliches und Endliches, Sinnliches und Uebersinnliches, die Idee des Seyns, Vernunft-Ideen, das Absolute, die Idee des Guten, das Göttliche, die sittliche Freiheit, Selbsterzeugungskraft, die absolute Idee, Subjekt-Objekt u. s. w. Mit dergleichen werfen sie getrost um sich, meinen wirklich, das drücke Gedanken aus, und muthen Jedem zu, sich damit zufrieden zu stellen: denn der höchste ihnen absehbare Gipfel der Weisheit ist eben, für jede mögliche Frage dergleichen fertige Worte in Bereitschaft zu haben. Dies unsägliche Genügen an Worten ist für die schlechten Köpfe durchaus charakteristisch: es beruht eben auf ihrer Unfähigkeit zu deutlichen Begriffen, sobald diese über die trivialsten und einfachsten Verhältnisse hinausgehn sollen, mithin auf der Schwäche und Trägheit ihres Intellekts, ja, auf dem geheimen Bewußtseyn dieser, welches bei Gelehrten verbunden ist mit der früh erkannten, harten Nothwendigkeit, sich für denkende Wesen auszugeben, welcher Anforderung in allen Fällen zu begegnen, sie einen solchen Vorrath fertiger Worte geeignet halten. Wirklich belustigend muß es seyn, einen Philosophieprofessor dieses Schlages auf dem Katheder zu sehn, der bona fide [guten Glaubens] einen dergleichen gedankenleeren Wortkram vorträgt, ganz ehrlich, im Wahn, dies seien eben Gedanken, und vor ihm die Studenten, welche eben so bona fide, d. h. im selben Wahn, andächtig zuhören und nachschreiben; während doch im Grunde weder der Eine noch die Andern über die Worte hinausgehn, vielmehr diese, nebst dem hörbaren Kratzen der Federn, das einzige Reale bei der Sache sind.- (wv)

Undeutlichkeit (2) Ich habe mich, schon damals während des Mauerbaues und nachher bis heute, fast ausschließlich mit vergleichender Völkergeschichte beschäftigt — es gibt bestimmte Fragen, denen man nur mit diesem Mittel gewissermaßen an den Nerv herankommt — und ich habe dabei gefunden, daß wir Chinesen gewisse volkliche und staatliche Einrichtungen in einzigartiger Klarheit, andere wieder in einzigartiger Unklarheit besitzen. Den Gründen, insbesondere der letzten Erscheinung, nachzuspüren, hat mich immer gereizt, reizt mich noch immer, und auch der Mauerbau ist von diesen Fragen wesentlich betroffen.

Nun gehört zu unseren allerundeutlichsten Einrichtungen jedenfalls das Kaisertum. In Peking natürlich, gar in der Hofgesellschaft, besteht darüber einige Klarheit, wiewohl auch diese eher scheinbar als wirklich ist. Auch die Lehrer des Staatsrechtes und der Geschichte an den hohen Schulen geben vor, über diese Dinge genau unterrichtet zu sein und diese Kenntnis den Studenten weitervermitteln zu können. Je tiefer man zu den unteren Schulen herabsteigt, desto mehr schwinden begreiflicherweise die Zweifel am eigenen Wissen, und Halbbildung wogt bergehoch um wenige seit Jahrhunderten eingerammte Lehrsätze, die zwar nichts an ewiger Wahrheit verloren haben, aber in diesem Dunst und Nebel auch ewig unerkannt bleiben. - (kaf)

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