nbehelligt   Ich lebte unbehelligt und frei, und da meine Mutter den lieben langen Tag in Küche und Keller zu tun hatte (nebenher wurden viele Kochfräulein ausgebildet), so wuchs ich gänzlich auf eigene Faust und ungezwungen heran. Welch schöne Zeit wir hatten! Mit meinen Freunden streifte ich umher, im nahen Walde und am Flusse, der direkt an unserer Wohnung vorbeizog. Auf der Bleichwiese spielten wir Trapper und Indianer. Im Zeichen Lederstrumpfs und Karl Mays beschossen wir uns gegenseitig mit Luftbüchsen und selbstgemachten Katapulten. Auf einer der mächtigen, uralten Weiden — die Bleichwiese war mit solchen grotesken Bäumen bestanden — hatten wir einen regelrechten Hoch- und Jagdsitz eingebaut, von dem aus wir zum Schrecken der wäscheaufhängenden Dienstmädchen wie richtige Raubritter oder Indianer die Umgebung beunruhigten. Die nassen Laken oder gar die schönen langen Unterhosen gaben unserer Phantasie die nötige Anregung, und eine berühmte Schlacht gegen die Unterhosen steht mir noch lebhaft vor Augen, denn sie kostete mich meinen teuren Henrystutzen, den der freundlichgrimmige Kasinosergeant Arndt mir zum Geburtstag geschenkt hatte.

Wir Indianer und Piraten waren der Terror eines benachbarten kleinen Gutes, dessen Verwaltungsinspektor, ein Mann mit dem sonderbaren Namen Butterbrodt, unser erklärter Todfeind war. Oft beschritten wir gegen ihn und seine Getreuen den Kriegspfad, und mehr als einmal wurde ihm ein blutiger Tod nebst dazugehöriger Strafverschärfung (kopfüber in einen Ameisenhaufen gehängt und dergleichen) zugedacht. Unsere Einbildung war so mächtig, daß wir sogar einen richtigen Marterpfahl für ihn bereitgestellt hatten. Wenn Butterbrodt mit seinem kleinen Eselsgespann daherkam, war er regelmäßig die Zielscheibe unserer Geschosse. «Butterbrodt frisch geschmiert!» riefen wir hinter den Bäumen hervor. Seinen Esel malträtierte er gottsjämmerlich, und da wir dieses in unserer Gegend damals selten verwendete Zugtierchcn sehr gern hatten, übten wir unbewußt im Sinn eines höheren Ausgleichs gerechte Vergeltung an seinem Peiniger.

Vor mir taucht die Stolpe auf, jener kleine Fluß, der durch Stolp fließt und an dem unser Haus lag. In unserer kindlichen Phantasie war sie der Hudson oder der St. Lorenzstrom und der See Glimmerglas. Manchmal trieben Flöße flußab dem kleinen Ostseehafen zu. Wir fuhren barfuß kilometerweit mit. Dann wurden die Baumstämme unter uns zu Planken eines Marryatschen Freibeuterschoners, und zischend schlugen die Geschosse unserer Schleudern ins Wasser. Gelegentlich fielen wir selbst hinein. Einmal kam ich bei solch einem Abenteuer direkt unter die glitschigen Floßstämme und wäre sicher ertrunken, wenn ich nicht in letzter Minute noch in einer Lücke zwischen zwei Flößen hätte auftauchen können. Meine kurz zuvor erworbene Fähigkeit, beim Tauchen die Augen aufzumachen, rettete mir damals das Leben.  - George Grosz, Ein kleines Ja und ein großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek bei Hamburg 1986, zuerst 1955

Unbehelligt (lassen) (2)  »Und am Ende - was wirst du tun?«

»Am Ende werde ich sterben.«

»Und dann?«

»Laß die Götter das besorgen. Ich habe sie nie mit Gebeten gequält; ich denke, sie werden mich auch nicht quälen. Schau, ich habe in meinem langen Leben gemerkt, daß alle, die denen da oben ewig mit Klagen und Beschwerden und Gekläff und Geheul in den Ohren liegen, auf einmal mir nichts, dir nichts zum Rapport kommandiert werden, just wie unser Oberst die schlappmäuligen Bauernlümmel, die zuviel schwatzten, zum Rapport kommandierte. Nein, ich habe die Götter nie behelligt. Sie werden das bedenken und mir einen ruhigen Platz geben, wo ich meine Lanze in den Schatten bohren und warten kann, bis ich meine Sohne willkommen heiße: ich habe nicht weniger als drei - Ressaldarmajore* - alle in der Armee.«

»Und diese ebenfalls, gebunden auf das Rad, gehen von Leben zu Leben - von Verzweiflung zu Verzweiflung«, murmelte der Lama leise, »heiß, ruhelos, gierig.«  
    * Einheimische Offiziere

- Rudyard Kipling, Kim. Nach (ki)

 

Freiheit

 

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