msturz  Die höchste Kraft und «Tugend» der Madame Po liegt in ihrem Kruzifixus aus Porzellan, der wohl auch das schönste Ladenschild für eine Töpfereiwarenhandlung ist.

An Madame Pô ist ein anderer, lebendiger Christus genagelt, auch er so weiß wie Porzellan: ihr Mann, Monsieur Pô, der Narr.

Monsieur Pô war vor dreißig Jahren ein fröhlicher Mensch. Dann wurde er trübsinnig, von heut auf morgen. Die Lieder, die er singt, eine ganze Bibliothek alter Liederbücher zeugen noch von dieser ehemaligen Fröhlichkeit, deren sich niemand mehr entsinnt.

Monsieur Pô gehört einer anderen Epoche an; mit ihm ist auch sein Geist dahingegangen. Er hat den Anbruch der Romantik erlebt, die Restauration, die Julimonarchie. Tage eines politischen Umsturzes ist er verrückt geworden.

Seine zartbesaitete Seele hat den Sturz eines Regimes nicht überlebt, das er erwählt hatte, um glücklich zu sein.

Dennoch lebt er wie jeder andere in seinem Haus und unter den Menschen. Nur daß er täglich zwanzig Spaziergänge mehr als jeder andere macht und ebenso viele Suppen ißt, jedesmal, wenn er nach Haus kommt: kochendes Wasser steht immer auf dem Herd; man wirft ein paar trockene Brotschnitten hinein. Wenn Monsieur Pô «seine Suppe gelöffelt» hat, bekommt er zwei alte Steingutschüsseln vorgesetzt. Er liest Bohnen aus, weiße und rote. Seit Jahrzehnten schon verrichtet er immer das gleiche Geschäft. Wenn die Bohnen alt und schwarz werden und nicht mehr zu unterscheiden sind, gibt man ihm neue. Hat Monsieur Pô seine Bohnen verlesen, kippt Madame Pô die eine Schüssel in die andre und mischt, nicht ohne Tücke, alles gehörig untereinander, damit er es nicht so leicht hat, wenn er nun von vorne beginnt. Sollte er ihr dabei auf die Schliche kommen und sozusagen erwachen - dann setzt es Schelte, und gäbe man ihm Wein zu trinken und Fleisch zu essen, er würde selber so laut schimpfen und schelten, daß man ihn fast für verständig hielte. In Madame Pôs verräucherter Hinterstube, zu Füßen des unsichtbaren Kruzifixus, gleicht der Greis mit seinen beiden Schüsseln voller Bohnen, den weißen und roten, dem «Chronos mit der Sanduhr».  - Marcel Jouhandeau, Herr Sarciret oder Der Kruzifixus aus Porzellan. In: M. J., Chaminadour. Reinbek bei Hamburg 1964