Umbettung    Melcher hatte einen Plastiksack genommen, aber er hatte ihn nicht zugebunden, oder die Schnur war aus dünnem Hanf gewesen und verfault. Carlo oder das, was von ihm übriggeblieben war, hockte nicht tiefer als einszwanzig unter der Erde, Knie angewinkelt, die Beine durch das Plastik dicht an den Körper gepreßt. Ich war froh, daß ich nichts sehen konnte als das bläulich schimmernde Grau des Sacks. Nur oben, wo die Schnur gewesen sein mußte, ragte uns etwas Schwarzes entgegen, Carlos Kopf, der zur Seite gekippt war. Ich schob Braunauge zur Seite, breitete eine weitere Plane aus und stopfte sie zwischen der Leiche und den Wänden der Grube nach unten.

»Knien Sie sich auf der anderen Seite hin.«

»Was denn jetzt noch?«

»Wir müssen ihn ja irgendwie da rausholen, oder?«

Braunauge fiel auf die Knie.

»Los jetzt!«

Ich griff nach unten. Tastete die Schulter ab. Den Brustkasten. Fest. Bis auf den Gestank schien alles in Ordnung zu sein. Erst unterhalb der Rippen konnte ich durch zwei Lagen Plastik mit einer Leichtigkeit in Carlos Bauchhöhle greifen, die mich fast dazu brachte, Braunauge meinen gipsweißen Mageninhalt ms Gesicht zu spucken. Was immer da war, es war weich.

Und es schien sich zu bewegen.

»Packen Sie ihn unterhalb des Brustkastens.«

Braunauge packte und riß, so daß mir nichts anderes übrigblieb, als ebenfalls zu ziehen. Es knackte laut, als wäre jemand auf einen ausgetrockneten Ast getreten. Die Wirbelsäule, die einzige feste Verbindung zwischen Carlos oberen und unteren Teilen, war auseinandergebrochen. Braunauge stieß einen unterdrückten Schrei aus, zog aber weiter. Ich spürte, wie der Sack freikam und alles, was früher einmal Carlos Unterleib gewesen war, nach unten rutschte. Immerhin riß das Plastik nicht. Wir zogen, und plötzlich schwebte das Ding über der Grube. Braunauge rührte sich nicht mehr.

»Lassen Sie es verdammt noch mal runter!«

Wir ließen Carlos sterbliche Überreste neben der Grube auf den Rasen fallen. Ober- und Unterkörper vereinigten sich unter ihren Hüllen mit einem Geräusch, das ausreichte, auch den zähesten Killer auf allen vieren in Richtung Hecken zu schicken. Ich nahm meine Schaufel, hieb sie in den Beutel mit Blumentopferde und kippte den Inhalt in die Grube. Dann schaufelte ich die Erde darüber, schichtete den Komposthaufen wieder auf und benutzte die beiden Planen, um die Leiche weiter einzuwickeln. Jede Schicht schnürte ich mit Gewebeband zu.

Am Ende machte das Päckchen einen einigermaßen passab-len Eindruck. Ich sammelte Braunauge ein, drückte ihm die Schaufeln und meine Schlüssel in die Hand und empfahl ihm dringend, vor mir am Wagen zu sein. Ich sah ihm zu, wie er wegwieselte, dann packte ich das Paket von unten, stemmte es hoch und lief mit allem, was von Carlo noch übriggeblieben war, über den Rasen. Mir war egal, wer mich dabei sah Der erste, der mir begegnete, würde unter einer Madensammlung begraben werden.

Aber mir begegnete niemand, und Braunauge riß den Kofferraumdeckel auf, sobald er mich durch die Gartentür stürmen sah. Ich ließ das Paket in den mit Styropor und noch mehr Plastik ausgekleideten Kofferraum fallen, packte die Schaufeln darauf und Klappe zu.

Carlos Beerdigung auf dem Emmaus fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Jedenfalls weitgehend. Es war kurz nach drei, als ich in die Grube stieg und Braunauge das Paket nach unten ließ. Ich hatte in einer Hälfte der Grube ein Loch von einem Meter Tiefe gegraben, in dem sich Carlos Überreste ohne Schwierigkeiten unterbringen ließen. Danach verteilte ich die überschüssige Erde auf dem Grubenboden, trat sie fest und kletterte wieder nach oben.

»Ich hoffe«, sagte ich und klopfte mir Erde von den Klamotten, »Ihr Boss ist damit zufrieden.«

»Nicht ganz«, antwortete Braunauge und wollte mit der Rechten unter sein Jackett greifen.    - Thorsten Tornow, Tod eines Trebers. Berlin 1999

Leiche Grab

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