marmung  Wenn sie Männer umarmte, dachte N. gewissermaßen nicht nach, obwohl das nicht stimmt, denn es gibt immer Pausen. Ich denke dabei nie nach, sagte sie, aber sie ging flott dazu über, zu berichten: Die Hälfte der Zeit geht alles schief. Darüber lachten die Kolleginnen. Angefeuert, fuhr N. fort: Wenn ich jemand umarme, kann ich zweierlei nicht unterscheiden - falls ich darüber nachdenke, sie sagt das, um ein weiteres Lachen zu erzielen -: wende ich das als Waffe an oder nicht? Ich will ihn gewinnen, oder will ich mich für ihn gewinnen?

Soll ich sagen, was ich will ? Ihn mit Stumpf und Stil haben, auf Ewigkeit, aber er soll weg sein, wenn ich ihn nicht da haben will. Aber plötzlich! Ich schieße ihn in eine Kreisbahn. Wenn ich ihn wiederhaben will, hole ich ihn mir herunter (Lachen). Das ist mein ganzes Programm.

Dann wäre es gut, wenn ihr Supermächte seid, sagte Frieda. Ja, sagte Marion, dann könnte man das so machen. Sie konnte tatsächlich nicht mehr unterscheiden, wann sie ihren Körper, ihre Arme, ihren Mund als Eroberungswaffe und wann sie sie zur Stillung eigener Wünsche gebrauchte. Das lief durcheinander, weil ja auch ihre Zugespanne zum einen Zeitpunkt sie vereinnahmen, zum anderen Zeitpunkt sie loswerden wollten. Das vermischte sich tödlich, wenn es auch von außen ähnlich aussah.

»Wenn man schon daran sterben kann, dann wollen wir es als Feindbild betrachten und nicht wie dein gütiges Lächeln, das irgendwann einmal, ich wette darum, aus einem Zähnefletschen entstanden ist, das du zu kaschieren gelernt hast.« N. hatte das gesagt, gleich darauf bemerkte sie, daß sie es so gesagt hatte, und war verblüfft. - (klu)

Umarmung (2)  »Een scheenet Stick Jelde is zu vadien. Kannste dia die Sache ja mal vorlejen lassen.«

Wutschkas Achseln zuckten schwach.

Und nach zehn Minuten stand er vor der Acker-Käthe, die ihn mit einem Jubelschrei auf ihre oberschenkelähnlichen Arme nahm, brüllend im Kreise schwang und schließlich atemlos sich auf den Schoß setzte.

Japoll sah gerührt zu.

»Kitz-kitz-kitz-kitz-kitz-kitz!« Die Acker-Käthe quetschte Wutschkas Kopf in ihren immensen Busen hinein, so daß er fast den Atem verlor, und küßte ihn mit ihren wulstigen Lippen schmatzend auf die kleine runde Glatze.

Wutschka, dessen Kräfte die der Acker-Käthe keineswegs überstiegen, stieß und stemmte vergeblich, zwischendurch krächzend:

»Käthe, jib Frieden! Laß mia Luft! Ik kann nich mehr!«

»Noch scheener! Er kann nich mehr!« Die Acker-Käthe johlte nur so. Ihr Mieder krachte. »Fier mia biste nich schwul. Nich wat schwarz untern Fingernajel jeht. Nee, biste nich. De willst dia nur dennen Vaflichtungen jejenieber deinen Freindinnen hintaziehn, nischt weiter ... Er kann nich mehr! Jleich sachste det Jejenteil!« Sie leckte mit der ganzen Zunge ihm breit über die Glatze.

»Sachste et eben«, begütigte Japoll vergnügt, »und machste det Jejenteil!«

Wutschka rang nach Luft. Es hörte sich so besorgniserregend an, daß Japoll es für rätlich hielt, einzuschreiten. Er eilte herzu und versetzte der Acker-Käthe ein wohlgezieltes Kopfstück, so daß ihr Glasauge heraussprang, auf die Diele polterte und schmollend unter den Schrank rollte. - Walter Serner, Lampenfieber. In: W.S.: Der Pfiff um die Ecke. Zweiundzwanzig Kriminalgeschichten. München 1982 (dtv 1741, zuerst 1925)

Umarmung (3)  Die brünstigen Männchen namentlich der Kröten halten oft Weibchen anderer Arten, Männchen derselben Art, tote Frösche, sogar Fische fest und lassen sich Kopf und Hinterbeine abschneiden und die furchtbasten Verstümmelungen über sich ergehen, ohne das Weibchen loszulassen. Goltz konnte nachweisen, daß das Zentrum, von dem dieser Umarmungskrampf abhängt, im vordersten Teil des Rückenmarks liegt, und daß dessen Tätigkeit durch mechanische Reizung (Druck oder Reibung) der Haut an der Brust und der Beugefläche der Arme ausgelöst wird. - Brehms Thierleben

Umarmung (4)

- Honoré Daumier 1834, nach (se)

Umarmung (5)

- "Tom", TAZ vom 31. März 2007

Umarmung (6)

Mein süßes Lieb, wenn du im Grab,
Im dunkeln Grab wirst liegen
Dann will ich steigen zu dir hinab,
Und will mich an dich schmiegen.

Ich küsse, umschlinge und presse dich wild,
Du Stille, du Kalte, du Bleiche!
Ich jauchze, ich zittre, ich weine mild,
Ich werde selber zur Leiche.

Die Toten stehn auf, die Mitternacht ruft,
Sie tanzen im luftigen Schwarme;
Wir beide bleiben in der Gruft,
Ich liege in deinem Arme.

Die Toten stehn auf, der Tag des Gerichts
Ruft sie zu Qual und vergnügen;
Wir beide bekümmern uns um nichts
Und bleiben umschlungen liegen.

- Heinrich Heine

Umarmung (7) Zwei gingen auf mich los. Ich sah sie kommen, packte mit jedem Arm einen um die Hüften, und wir stürzten zusammen auf den Boden der Höhle nieder und wälzten uns übereinander. Es waren überaus starke Männer, doch ich war außer mir vor Wut, und mich packte jene Mordlust, die wohl den Zivilisiertesten ergreift, wenn Hiebe fallen und es um Tod und Leben geht. Ich umschlang mit meinen Armen die zwei schwarzen Teufel und preßte sie zusammen, bis ihre Rippen krachten. Sie wanden und krümmten sich wie Schlangen und hämmerten mit ihren Fäusten auf mich ein, doch ich ließ nicht los. Auf dem Rücken liegend, so daß ihre Körper mich vor den Speerstößen von oben schützten, drückte ich ihnen langsam das Leben aus, und dabei fragte ich mich, so seltsam dies scheinen mag, was wohl der ehrwürdige Vorstand meiner Colleges in Cambridge (der Mitglied der Friedensgesellschaft ist) und meine Kollegen sagen würden, wenn sie mich bei diesem blutigen Spiel sehen könnten.  - Henry Rider Haggard, Sie. Zürich 1970 (zuerst ca. 1886)

Umarmung (8)   Er ließ die Zigarette fallen und wand sich geschickt aus der Enge, die ihn an das Bäckereitor preßte; dabei drehte er sich um die eigene Achse, und auf einmal war ich an die Holzlatten des Tores geworfen. Er kam mit seinem Gesicht auf mich zu, ich spürte seinen Stoppelbart an der Wange:

Und ich sage Ihnen, ich werde dafür sorgen, daß die Briefe bei der Empfängerin ankommen, wenn ich weiß, wo sie sich aufhält.

Sie werden es wissen, verlassen Sie sich darauf, sagte ich; und ich umarmte ihn nun ebenfalls. Ich zog ihn an meine Brust und griff nach dem Messer, das in meinem Rücken unter der Jacke im Gürtel steckte. Mit beiden Fäusten trieb ich ihm die Klinge unter das linke Schulterblatt. Es war ein langes schmales Brotmesser, das beinahe widerstandslos durch den Jogging-Anzug in seinen Körper eindrang; er hob den Kopf und blickte mich voller Staunen an. Es war wie im Film, als er den Mund öffnete, quoll, statt eines Lauts, blutiger Schaum über seine Lippen.  - Wolfgang Hilbig, Der dunkle Mann. In: W.H., Der Schlaf der Gerechten. Frankfurt am Main 2003

Umarmung (9)

- Zdislaw Beksinski

Umarmung (10)  Bartrina lag auf dem Rücken, denn seine Frau hatte ihn kurz zuvor, als sie ihn fand, umgedreht. Sein Kopf war zurückgelehnt, als versuche er mit seinen weitaufgerissenen, toten, ausdruckslosen Augen durch die Decke hindurchzugucken. Sein linker, ausgestreckter Arm und die gespreizten Finger erweckten den Eindruck, als würden sie um etwas bitten. So, als wolle Bartrina um ein bißchen Leben flehen. Sein rechter Arm lag unter drei Gemälden, die mit einer dunklen Masse beschmiert waren. Auch Bartrinas Gesicht, seine Hände und seine Brust waren verschmutzt. Offensichtlich war er so gestorben: die Bilder umarmend, sie inbrünstig küssend. Es muß wohl nicht extra erwähnt werden, daß es sich bei den Bildern um die drei aus Puiggráns Haus entwendeten Picassos handelte.

»Scheiße, verdammt nochmal!« schreit Daniel voller Verzweiflung.

»Ich wußte es. Ich wußte, daß er es war...«

»Aber das ist ja noch längst nicht alles...« erwidert Javier.

In dem Zimmer stank es bestialisch. Es konnte einem übel werden. Als man feststellte, daß es sich bei der Masse, mit der Bilder und Leiche beschmiert waren, um getrocknete Exkremente handelte, konnte man verstehen, warum es so stank. Noch verständlicher wurde es, als man sich umschaute und eine weitere Leiche entdeckte, die hinten im Zimmer auf einem Tisch lag, mitten zwischen Porzellan und Essensresten. Der nackte Körper eines hübschen, jungen Mädchens, der schon mehr als zehn Tage daraufwartete, daß sich jemand seiner annahm. Ein toter, verwesender Körper, auf den eine U-Matic Sony gerichtet war. Nach Meinung der Experten funktioniert das Videogerät mit VHS-Kassetten, wie die Geräte in den Vereinigten Staaten. An den Wänden hingen eingerahmt: ein präparierter, menschlicher Arm, ein Fuß und ein menschlicher Darm, der wie eine komplizierte Zeichnung aussah. Das Cocktailglas auf der Kommode enthielt trockenen Martini mit Formol und, anstelle der klassischen Olive, fand man ein, auf einem Zahnstocher aufgespießtes, menschliches Auge.  - Andreu Martín, Aus Liebe zur Kunst. Frankfurt am Main 1994

Umarmung (11)

- Claude Cahun

Umarmung (12)

- André Masson

Umarmung (13) Ich hielt mich in einem bayrischen Dorf versteckt, überanstrengt, vor kurzem vor Gericht gestellt, gepfändet, verbannt, auf den Müllhaufen geworfen; nichts als ein Gefühl der Rache beherrschte mich, als ich im letzten Augenblick aufs Bett sank. Da begann ein Kampf. Ohne die Kraft, um Hilfe zu rufen, lag ich allein in meiner Bodenkammer, vom Fieber attackiert, das mich wie ein Federbett schüttelte, mir die Kehle zuschnürte, um mich zu ersticken, mir das Knie auf die Brust setzte, mir die Ohren erhitzte, so daß mir die Augen aus dem Kopf zu quellen schienen. Ohne Zweifel war es der Tod, der sich in meine Kammer geschlichen und sich auf mich gestürzt hatte. Aber ich wollte nicht sterben. Als ich mich zur Wehr setzte, wurde der Kampf erbittert, die Nerven spannten sich, das Blut pochte in den Pulsadern, das Gehirn begann zu zappeln wie ein Polyp in Essig. Mit einemmal, überzeugt, in diesem Totentanz zu unterliegen, gab ich nach und sank auf den Rücken, mich der schrecklichen Umarmung ergebend.   - August Strindberg, Plädoyer eines Irren. Köln 1977 (zuerst 1893)

Umarmung (14)  Ich  malte mir die abenteuerliche Begegnung mit einem Ameisenbären aus, der plötzlich hochaufgerichtet aur den Hinterpfoten vor mir stünde und mich mit ausgebreiteten Armen erwartete. »Er ist das widerlichste Tier unserer Wälder«, hatte Bento, der »Coronel«, ein anderer großer Jäger vor dem Herrn, mir erzählt. »Stellen Sie sich vor, dieses Biest, das im allgemeinen völlig harmlos ist, stellt sich auf den Hinterpfoten auf, wenn es Sie kommen hört, und wartet auf Sie, unbeweglich, mit ausgebreiteten Armen. Sie können einen Zentimeter neben ihm vorbeischleichen, ihn beinah streifen, ohne daß das Mistvieh sich rührt oder auch nur ein Haar aufstellt. Aber wehe Ihnen, wenn Sie im Dickicht gegen ihn prallen! Automatisch schließen sich seine Arme, und er erdrückt Sie, indem er seine endlos langen Krallen sacht zwischen Ihre Rippen schiebt. Seine Umarmung ist tödlich. Sie haben nicht mehr die Zeit, ihm eine Kugel zu geben. Sollten Sie ihm je unter die Nase kommen, so überlegen Sie nicht lang, rennen Sie ihm sofort Ihr Messer ins Herz.«   - (cend)

Umarmung (15)

- Jan Saudek

Umarmung (16)

Umarmung (17)  Die Fremden kamen an das Hoftor, und die Frau hieß sie herzlich willkommen. Kei zog ein großes Holzscheit aus dem Holzhaufen hervor und schob es zwischen ihre beiden Arme, als sie ihn zur Begrüßung umarmen wollte, und das Holz splitterte und zerbrach.

«Frau, hättest du mich ohne diese Vorsorge umarmt», sprach Kei, «mich hätte hinfort niemand mehr lieben können. Du hast eine seltsame Art, den Menschen deine Zuneigung zu erweisen.»  - (wal)

Umarmung (18)  Es waren ein Mann und eine Frau, deren Alter unmöglich auf den ersten Blick festzustellen war. Daß sie unterschiedlichen Geschlechts waren, schloß der Commissario aus dem Körperbau, nicht etwa aus den Geschlechtsmerkmalen, denn die waren verschwunden, in einem natürlichen Prozeß ausgelöscht. Der Mann lag auf der Seite, ein Arm quer über der Brust der Frau, die auf dem Rücken lag. Sie umarmten sich, und sie würden für alle Zeiten umarmt bleiben, denn das, was einmal das Fleisch seines Armes gewesen war, war mit dem Fleisch ihrer Brust wie verklebt, verschmolzen. Nein, man würde sie bald trennen, dafür würde Dottor Pasquano sorgen. Durch die runzlige, pergamentene Haut schimmerte das Weiß der Knochen hindurch; sie waren ausgetrocknet, auf ihre pure Form reduziert. Die beiden schienen zu lachen, die Lippen, die sich zurückgezogen und um den Mund herum gestreckt hatten, entblößten die Zähne. Neben dem Kopf des toten Mannes stand die Schale mit kleinen runden Plättchen darin, neben der Frau ein tönerner Krug, wie die Bauern ihn früher aufs Feld mitnahmen, um das Wasser kühl zu halten. Zu Füßen des Paares der Hund aus Terracotta. Er war etwa einen Meter lang und grauweiß, die Farben unversehrt. So hatte ihn der Künstler, von dessen Hand er stammte, gesehen: die Vorderpfoten ausgestreckt, die Hinterbeine angezogen, das Maul, aus dem die rosa Zunge heraushing, halboffen, die Augen wachsam: So lag er zwar, jedoch in der Position eines Bewachers. Der Teppich hatte ein paar Löcher, durch die man den Sand auf dem Boden sah, aber die Löcher konnten auch alt sein, und der Teppich war vielleicht schon in diesem Zustand gewesen, bevor man ihn in die Grotte gelegt hatte.  - Andrea Camilleri, Der Hund aus Terracotta. Bergisch Gladbach 2001
 

Arme
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