hrzeit  Eines Abends stieß ich auf ihn, auf der Westminster-Brücke. Bei böigem Wind und Schneegestöber. Ich nickte. Vergeblich. Mich mit einer Hand packend, zerrte er mit seinen Zähnen von der anderen zwei Paar lederne Fäustlinge, wickelte seinen dicken Wollschal ab, knöpfte nacheinander Mantel, Wams, Jacke, zwei Westen, Oberhemd, Unterhemd und Trikot auf und schlug sie zur Seite, fummelte aus einem Wildlederetui, das wahrscheinlich mit einem Kruzifix an seinem Hals hing, eine rostfreie Sprungdeckeluhr hervor, ließ sie aufspringen, hob sie an seine Augen (da es dunkelte), nahm nach einer Reihe umgekehrter Verrichtungen seine ursprüngliche Form wieder an, sagte, Genau siebzehn Minuten nach fünf, Gott ist mein Zeuge, beste Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin (ich habe nie eine gehabt), ließ meinen Arm los, lüftete seinen Hut und zog davon. Einen Moment danach schlug Big Ben (so ist doch der Name?) sechs. - (wat)

Uhrzeit (2)   Wie oft fragen mich die Kinder auf der Straße nach der Uhrzeit! Dabei bin ich wie sie, lebe nicht nach der Uhr und trage auch keine bei mir. Sie halten mit ihren Fahrrädern am Bordstein, sie fragen mit artigem Befremden, mit abgewandtem Blick und so, als kämen sie aus einer fernen Gesellschaft und zögen nur eben an uns vorbei. Sie fragen auch aus einer, Ungewißheit, die sich nicht allein auf den Stundenplan erstreckt. Die allgemeine Gewöhnung unter uns Städtern, dem anderen kaum mehr ins Auge zu blicken, ihn möglichst nicht zu beachten, scheint diese Kinder zu stören. Sie merken doch, wie die freundliche Neugier, ihr ureigenes Element, ohne das sie nichts werden können, ringsum wenig bedeutet. Dagegen regen sie sich und fragen an den Leuten entlang; es drängt sie, den Fremden kurz zu berühren, und sei es nur, um von ihm die Stunde zu hören. »Können Sie mir bitte sagen, wie spät es ist?«   - Botho Strauß, Der junge Mann. München Wien 1984

 

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