Uhrmacher Warum sollten wir annehmen, daß unser Planet, der so weise seinen Abstand zu der Sonne einhält, daß unser Mond, der ebenso weise seinen Abstand zur Erde bewahrt, daß Ebbe und Flut, deren Rhythmus allein vom Monde abhängt, daß unsere Jahreszeiten, die regelmäßig wiederkehren, daß all diese Erscheinungen, die eine noch weit großartigere Mechanik darstellen als jene Uhren, aus blindem Zufall entstanden seien? Müssen wir nicht den großen Uhrmacher suchen, der unser Sonnensystem schuf und es ein für allemal regelte?

Die beiden Uhrmacher, die die Meisterwerke von Lübeck und Straßburg schufen, sind seit Jahrhunderten tot. Und dennoch zeigen ihre wunderbaren Spielzeuge immer noch, ohne sich zu irren, die Stunden, die Gezeiten, die Zeichen des Tierkreises und die Mondphasen an. Und nun will ich Ihnen mein Innerstes anvertrauen, das schreckliche Geheimnis, das mich zur Verzweiflung bringt: Gott ist tot. Und wir leben gemäß einem Mechanismus, der uns weiterhin all das gibt, was seine Weisheit sich Wunderbares ausgedacht hat, solange seine Schöpfermacht dauerte.

Die Gläubigen der Tempel, der Synagogen, der Kirchen, der Moscheen bewundern die göttliche Weisheit, weil sie sehen, wie aus den Blüten des Frühlings die Früchte des Herbstes werden, und weil sie sehen, wie der Schnee des Winters den ersten Keimen des Kornes Platz macht. Sie verehren, sie bewundern diesen Gott, dessen Weisheit sich in jeder Blume und in jeder Frucht, in jedem Regentropfen und in jedem Sonnenstrahl offenbart. Aber sie kennen die furchtbare Wahrheit nicht: Gott ist tot. Und was sie für die Gottheit halten, ist nur noch der gespenstische Mechanismus, der auch nach dem Verschwinden seines Schöpfers weitergeht.«   - Maurice Sandoz, Am Rande. Zürich 1967

Uhrmacher (2)
 

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