Vebermutter  Mama, hilf mir, es ist wieder was Schlimmes passiert. Mama, du hast mir immer beigestanden, hilf auch jetzt. - Aber Tochter, ich habe nicht die Kraft, noch ein Wesen zu lieben, das wäre Verrat an dem Kleinen, das verkraftet er nicht, er hat schon die Neue so böse angesehen. - Mama, was sollen wir machen? - Nichts, ich kann dir nicht helfen, ich habe dir alles gegeben, all mein Geld, du meine Sonne, meine Liebe. - Ich gehe zugrunde, Mama, schrecklich. - Nein, meine Liebe, reiß dich zusammen. Ich muß mich ja auch zusammenreißen. Ich bin deine einzige Mama, und ich halte mich doch auch noch aufrecht. Neulich ist es mir zum Beispiel passiert, daß ein Mann auf der Straße zudringlich wurde, er hat mich für ein junges Mädchen gehalten, «Hallo, Fräulein!» Kannst du dir das vorstellen! Deine Mutter ist noch Frau! Du mußt dich auch zusammenreißen. Ja? Hierher könnt ihr nicht ziehen, wieder diese haßverzerrten Gesichter, die uns aus dem Flurspiegel anblicken, wir streiten uns ja immer im Flur, unserem Gefechtsplatz. Und er sieht alles mit an, das heilige Kind, und versteht nicht, daß seine ganze Welt zusammenbricht, seine Mutter (ich) und seine Aljona (seine Mutter) werfen sich die schlimmsten Ausdrücke an den Kopf, seine beiden Göttinnen! Ich lebe doch für ihn! Du hast mir doch selbst gesagt, lieber auf der Straße als mit mir! Reiß dich zusammen, Tochter!    - Ljudmila Petruschewskaja, Meine Zeit ist die Nacht. Aufzeichnungen auf der Tischkante.  Berlin 1991 (zuerst 1990)
 
 

Mutter

 

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