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Überforderung (2) Sollte irgend einem Mann von
Ambitionen der Sinn danach stehen, mit einem einzigen Gewalt-Streich die gesammte
Welt menschlichen Denkens, menschlichen Meinens und menschlichen Empfindens
zu revolutioniren, so steht ihm solche Gelegenheit jederzeit zu Gebote - so
liegt die Straße zum unsterblichen Ruhm schnurgerade, offen und ohne jegliches
Hinderniß vor ihm. Was er zu tun hat, ist lediglich, ein ganz kleines
Buch zu schreiben und zu publiciren. Der Titel sollte recht einfach sein - dürfte
blos wenige, schlichte Worte umfassen : « Mein blosgelegtes Herz ». Allein,
dies kleine Buch müßte halten, was sein Titel verspricht. - Edgar
Allan Poe, Marginalia. In: Werke Bd. IV, Olten 1966
Überforderung (3) Carlo della Torre Rezzonico, geboren am 7. März 1693 in Venedig als Sohn eines Kaufmanns, galt in Padua, wo er sechzehn Jahre lang Bischof war, als Heiliger. Er war so wohltätig, daß er nie einen Soldo besaß. Als die Papstwahl auf ihn fiel, weinte er und weigerte sich, die Würde anzunehmen. Er beschwor die Kardinäle mit den Worten: »Die Kirche darf nicht Händen anvertraut werden, die zur Regierung so untauglich sind wie die meinen.«
Unter seinem Pontiflkat stieg die Unsicherheit in Rom ins Unermeßliche. Räuber, Diebe, Erpresser tummelten sich unter den Augen der schlecht bezahlten und korrupten Ordnungshüter. Allein in Rom zählte man 4000 Morde während Clemens' Amtszeit, 13000 im Kirchenstaat insgesamt. Überschwemmungen und Hungersnöte plagten die Bevölkerung, und der Staatsschatz war so leer, daß sich kaum mehr für das Nötigste Geld fand.
Dafür legte der Papst großen Wert auf die Behebung der Nacktheit von Statuen
und Fresken in den römischen Kirchen und in der Sixtinischen Kapelle. Der berühmte
Kunsthistoriker Winckelmann teilte einem Freund brieflich mit, die antiken Statuen,
die Laokoongruppe und viele andere hätten Feigenblätter und Schurze verpaßt
bekommen. -
Albert Christian Sellner, Immerwährender Päpstekalender. Frankfurt am Main
2006 (Die Andere Bibliothek 260)
Überforderung (4) Mein Freund, wenn wir mit der Natur hadern, behalten wir gewöhnlich Unrecht. Bedenke, Natura nihil facit frustra nec supervacaneum (et nihil largitur) [die Natur macht nichts vergebens und nichts Überflüssiges (und sie schenkt nichts): Aristoteles, de incessu animalium]. Wir sind eben bloß zeitliche, endliche, vergängliche, traumartige, wie Schatten vorüberfliegende Wesen; was sollte solchen ein Intellekt, der unendliche, ewige, absolute Verhältnisse faßte? Und wie sollte ein solcher Intellekt diese Verhältnisse wieder verlassen, um sich zu den für uns allein realen, allein uns wirklich betreffenden, kleinen Verhältnissen unsers ephemeren Daseyns zu wenden und noch für diese zu taugen? Die Natur würde durch Verleihung eines solchen Intellekts nicht nur ein unermeßlich großes Frustra gemacht, sondern ihren Zwecken mit uns geradezu entgegen gearbeitet haben. Denn was würde es taugen, wie Shakespeare sagt:
we fools of nature,
So horridly to sbake our disposition,
With thonghts beyond tbe reaches
of our souls. -
[ daß wir Narren der Natur
So
fürchterlich uns schütteln mit Gedanken,
Die unsere Seele nicht erreichen
kann. -] Hamlet
Würde eine solche vollkommene und erschöpfende metaphysische Einsicht uns
nicht zu aller physischen, zu allem unsern Thun und Treiben unfähig machen,
vielleicht uns für immer in ein erstarrendes Entsetzen
versenken, wie Den, der ein Gespenst gesehn? -
(schop)
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