eberfluten
Es gibt Augenblicke, in denen das Lebenselixier zu so überschäumender
Herrlichkeit aufsteigt, daß die Seele überläuft. In dem seraphischen Lächeln
der Madonnen sieht man die Seele die Psyche überfluten. Der Mond des Gesichts
wird voll, die Gleichung ist vollständig. Eine Minute, eine halbe Minute, eine
Sekunde später ist das Wunder vorbei. Etwas Ungreifbares, Unerklärliches wurde
gegeben - und empfangen. Im Leben eines Menschen kann es vorkommen, daß der
Mond nie voll wird. Im Leben mancher Menschen möchte es tatsächlich scheinen,
daß das einzige wahrnehmbare, geheimnisvolle Phänomen ständige Verfinsterung
ist. Im Falle der mit Genie Behafteten, welche Form es auch annehmen mag, beobachten
wir fast mit Schrecken, daß es nichts als ein ständiges Ab- und Zunehmen des
Mondes gibt. Noch seltener sind die Anomalen, die, wenn bei ihnen der Mond die
Fülle erreicht hat, so erschrocken über das Wunder sind, daß sie sich ihr ganzes
übriges Leben lang bemühen, das zu unterdrücken, was ihnen Geburt und Existenz
verlieh. - Henry Miller, Sexus. Reinbek bei Hamburg 1980 (zuerst
1947)
Überfluten (2) Meer ist gleich
Mehr (Überflutung), manche dieser Gedichte hätte ich
selbst gerne geschrieben.
Da hagelt es in Posterformat gegen die Stirn : ein kreischendes Grün, ein
Dschungelgezeter, im zustechenden Schneeregen eine Scherenschnittkindheit (gedeih),
Saufeder am Kragenaufschlag (umwittert, umkohlt), ein Lichtzerhacker, ein Hirnstrudel.
Dieser hinreißende Argot, dieser den Atem verschlagende GLAMOUR-DRIVE, diese
Tattoos des Thomas Kling!, diese Eternitstirnen, Lichtbegängnisse, Dezibelschübe,
Limogläser, Schiebermützen, Infarktlippen!, diese zerschrammten Wortmarkierungen,
diese türkischen Schlehengegenden!, so daß die Ketchupwunde am Schläfenbein
platzt und wir als getroffen Betroffene, als Gezeichnete fortan uns ausweisen
können. - Friederike Mayröcker,
Magische BlätterII. Frankfurt am Main 1987 (es 1421)