ebereinstimmung
In dieser Periode des Rausches tut sich ein neuer Scharfsinn, eine
äußerste Wachheit aller Sinne kund. Der Geruchssinn, der Gesichtssinn,
der Gehörsinn und der Tastsinn beteiligen sich gleichermaßen an dieser
Steigerung. Die Augen spähen nach dem Unendlichen aus. Das Ohr
nimmt, mitten im vielseitigsten Getümmel, beinah unhörbare Töne wahr. Hier
beginnen die Halluzinationen. Die äußern Gegenstände nehmen langsam und
nacheinander ein eigentümliches Aussehen an. Dann folgen die Zweideutigkeiten,
die Mißverständnisse und die Umstellungen der Ideen. Die Töne bekleiden
sich mit Farben, und die Farben enthalten Musik. Man wird mir entgegnen,
das sei etwas ganz Natürliches und jedes poetische Gehirn ersinne auch
in gesundem und normalem Zustand solche Übereinstimmungen leicht. Aber
ich habe den Leser schon darauf aufmerksam gemacht, daß im Haschischrausch
nichts tatsächlich Übernatürliches vorkommt. Allein — die Übereinstimmungen
sind ungewöhnlich lebhaft. Sie durchdringen, überfallen und überwältigen
den Geist mit ihrem eigenmächtigen Wesen. Die Musiknoten werden zu Zahlen,
und wenn ihr mathematisch begabt seid, verwandelt sich die Melodie, die
vernommene Harmonie — ihren wollüstigen und sinnlichen Charakter durchaus
bewahrend — in eine umfassende arithmetische Rechenaufgabe, in der die
Zahlen wiederum Zahlen hervorbringen, deren Wandlung
und Entstehung ihr mit unerklärlicher Leichtigkeit und einer Gewandtheit
verfolgt, die derjenigen eines vortragenden Künstlers gleicht.
Manchmal geschieht es, daß die Persönlichkeit entschwindet und daß die
Objektivität, die pantheistischen Dichtern eigen
ist, sich in euch so regelwidrig entfaltet, daß die Betrachtung der äußern
Gegenstände euch eure eigene Existenz vergessen läßt und daß ihr euch alsbald
mit ihnen verwechselt. Euer Auge richtet sich auf einen vom Wind harmonisch
hin und her gebogenen Baum. In einigen Sekunden wird das, was im Hirn eines
Dichters nur ein ganz natürlicher Vergleich wäre,
in eurem Geist zu einer Tatsache. Zunächst leiht ihr dem Baum eure Leidenschaften,
euer Verlangen und eure Melancholie. Ihr
macht euch sein Ächzen und sein Sich-hin-und-her-Bewegen
zu eigen, und bald seid ihr der Baum. Ebenso stellt
der Vogel, der im tiefsten Himmelsblau schwebt,
zunächst nur das unsterbliche Verlangen dar, über allen menschlichen Belangen
zu schweben. Aber schon seid ihr der Vogel selbst.
Ich stelle mir euch sitzend und rauchend vor. Eure Aufmerksamkeit richtet
sich ein wenig zu lange auf die bläulichen Wolken, die aus eurer Pfeife
aufsteigen. Da bemächtigt sich eurer der Gedanke einer langsamen, sukzessiven,
ewigen Verflüchtigung, und alsbald werdet ihr diese Idee auf eure eigenen
Gedanken, euer denkendes Sein anwenden. Durch eine sonderbare Zweideutigkeit,
eine Art Übertragung oder geistiges Quidproquo fühlt ihr, wie ihr euch
verflüchtigt. Dann werdet ihr eurer Pfeife
(in der ihr euch wie Tabak zusammengekauert und versammelt fühlt) die sonderbare
Fähigkeit zugestehen, euch zu rauchen. - Charles Baudelaire,
Die künstlichen Paradiese. Zürich 2000 (zuerst ca. 1860)
Übereinstimmung (2) Ihr Reich ist die Obszönität.
Die junge Laborantin lebt in einem Sommernachtstraum der sexuellen Echos
und Verwandlungen. Wohin sie sich setzt, wohin sie blickt, jede Sphäre
ist voller geschlechtlicher Anklänge und sie muß es sagen, unentwegt, selbst
wenn es nur eine winzige Bemerkung über die Zigarette im Aschenbecher ist,
über die Sprache, die in eines anderen Ohr eindringt. Beim Sonntagstreff
mit der Familie im Restaurant — Vater, Mutter auf der einen Seite des Tischs,
sie auf der anderen allein — wirkt sie sogleich auf eins nur hin: die Eltern
richtig anzumachen, ein Klima von neudeutscher, kleinbürgerlicher Schlüpfrigkeit
über dem Mittagessen zu verbreiten. Sie nennt sich selbst den flottsten
Kittel vom ganzen röntgenologischen Labor und schildert, wie der Chef sich
neulich in der Sauna zu ihr setzte, wo sich alle gleich, aber eben doch
nicht ganz so gleich seien. Sie spricht zu ihren Eltern wie zu einer Ferienbekanntschaft
im Club Mediterranée, selbst ihnen oder gerade ihnen gegenüber kennt sie
keine andere Rede als die anzügliche. Damit will sie weder provozieren
noch sich selbst befreien, sondern vielmehr sucht sie gleiche Stimmung,
Übereinstimmung, das gemeinsame schallende Gelächter.
Es fällt auf, daß die Mutter recht bald auf die
Reizwellen, die sie von ihrem Kind erreichen, einschwingt und erst kichernd,
dann immer salopper, rüder werdend, mit unverblümten Anspielungen nicht
zurückhält, die immer enger um die Männlichkeit
des Vaters kreisen. Die Tochter beschreibt ihren
Vater als ein ›Körperwesen‹ mit enorm breiten Schultern, engem Becken und
— gemeines Lachen beider Frauen. Das Körperwesen aber sitzt ruhig und rund
am Tisch, ein Biedermann, der gerne schmunzelt und doch ein wenig sich
geniert. Die Frauen dichten ihm gemeinsam etwas an, loben ihn in höchst
frivolen Tönen, während die stille und wackere Figur des Vaters keinen
Zweifel läßt, das seine Stellung in der Familie seit je auf Geld und Güte,
doch nicht auf gerissenen Liebeskünsten beruhte. Die Mutter mit ragender,
höckriger Nase blinzelt der Tochter zu und versucht
sich frech in deren Tonart: sie ließe jetzt öfter mal wieder den Pyjama
im Badezimmer hängen. Schrilles Lachen der Tochter: »Sieh mal, der Papa
kriegt noch rote Ohren!« - Botho Strauß, Paare, Passanten.
München 1984 (dtv 10250, zuerst 1981)
Übereinstimmung (3) Auf Grund einer im Traum
oder in der Ekstase erlebten Offenbarung
fühlt jeder einzelne eine innere Übereinstimmung mit einem Wesen oder einer
Sache. Er ruft die Schatten der Verstorbenen an und beschwört die Geister. Jeder
hat seinen eigenen, besonderen Geist: das Moor, den Jaguar, den Adler, die Schlange,
den Mond, das Wasser, den Pelikan, einen Fisch, ein Krustentier. Das Totem
heißt Paccarisca, das bedeutet »Ursprung« oder »das
Zeugende, »das Buschwesen«. Das verehrte Wesen oder Ding genießt seine Privilegien,
man darf es weder töten noch essen, abhacken, zertrümmern, in Staub oder Asche
verwandeln oder verdunsten lassen. Bei Festlichkeiten ist jeder verpflichtet,
sein Zeichen zur Schau zu tragen. Der Indianer hüllt sich dann in ein Fell,
schmückt sich mit Federn oder Zweigen, befeuchtet seinen Kopf oder jongliert
mit Kieselsteinen. Er verkörpert im Tanz einen Flug, einen Schritt, er schwimmt,
er läuft, er hüpft, er kriecht, er gleitet, er schlängelt und windet sich und
bläst in den Krug, der die Stimme seines Totems hervorbringen soll. - (
mora
)
Übereinstimmung (4)
- N. N.
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