Tyrannei   »In der anarchistischen Propagandagruppe - wir waren nicht zahlreich, etwa vierzig, ich kann mich auch irren - stellte sich folgendes heraus: es entstand eine Tyrannei.«

»Es entstand Tyrannei? - Tyrannei? Wie denn das?«

»Auf folgende Weise... ein paar befehligten den Rest und lenkten ihn nach ihrem Willen; ein paar beherrschten den Rest und verpflichteten ihn, sich nach ihnen zu richten; ein paar schafften es mit List und Tücke, sich den Rest gefügig zu machen. Ich will nicht behaupten, daß davon wichtige Angelegenheiten berührt waren. Es gab im übrigen auch gar keine wichtigen Angelegenheiten. Tatsache aber ist, daß stets und ständig dieses Phänomen auftrat, und zwar nicht nur in Zusammenhang mit der Aufklärungsarbeit, auch außerhalb, in den ganz gewöhnlichen Dingen des Lebens. Die einen wurden unmerklich zu Anführern, die anderen unmerklich zu Untertanen. Die einen wurden Anführer, weil sie Machtworte, andere, weil sie Kniffe anwendeten. Das zeigte sich in den läppischsten Situationen. Zum Beispiel: zwei Jungs gehen gemeinsam durch eine Straße; am Ende der Straße angekommen, soll der eine rechts, der andere links weitergehen; jeder hat gute Gründe, seine Richtung einzuschlagen. Doch der, wel­cher links einbiegt, sagt zum anderen: »Komm mit, hier lang!«, und der andere antwortet, und das stimmte ja auch: »Mensch, das kann ich doch nicht! Ich muß doch da lang!« - aus diesem oder jenem Grunde... Schließlich aber biegt der andere gegen seinen Willen und Vorteil mit nach links ein... Und das geschah mal aufgrund von Überredungskünsten, mal auf Drängen hin, ein anderes Mal aus irgendeinem anderen Grund... jedenfalls nie aus logischen Gründen; immer lag diesem Sichdurchsetzen und Sichunterordnen etwas Spontanes, irgendetwas Instinktives zugrunde... « - Fernando Pessoa, Ein anarchistischer Bankier. Berlin 1986 (zuerst 1922)

 

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