TV-Performance    «Du sein Miststück, ich kommen zum Essen, aber jetzt muß ich hier durch dieses Fenster springen, ist das wohl möglich? Kann ich mal eben ein paar Sekunden dafür abzweigen?»

Fernsehleute murmelten in Walkie-talkies, Techniker waren durch das schicksalsschwangere Fenster zu sehen, vor dem sie mit Belichtungsmessern herumfuchtelten und Mikrophone aussteuerten, während drinnen Zoyd, gleichmäßig atmend, lautlos ein Mantra wiederholte, das ihm Van Meter am Ende seiner Yogaphase mi der Behauptung, es habe ihn hundert Dollar gekostet, für eine: Zwanziger aufgeschwatzt hatte, der Zoyd eigentlich gar nicht si richtig gehörte. Schließlich war alles zur Aufnahme bereit. Van Me ter hob die Hand zu Mr. Spocks Vulkaniergruß. «Wir warten nu auf dich, Z W!»

Zoyd beäugte sein Spiegelbild hinter der Theke, fuhr sich durch die Haare, drehte sich um, verharrte einen Augenblick und raste mi Gebrüll und leerem Hirn auf die Fensterscheibe zu und mit einen Scheppern durch sie hindurch. In dem Augenblick, da er sie be rührte, merkte er schon, daß irgendwas nicht stimmte. Er spürte kaum einen Aufprall, und alles fühlte sich anders an und klang auch anders, kein Klirren und Vibrieren, auch kein lauter Krach, nui eine Art zartes, gedämpftes Splittern.

Nachdem er pflichtbewußt jede der Fernsehkameras attackiert und wahnhafte Grimassen geschnitten hatte und nachdem die Poli-zei mit ihrem Formularkram fertig war, sah Zoyd, wie Hector inmitten der glitzernden Verwüstung vor dem kaputten Fenster hockte und ein leuchtendes, gezacktes Polygon aus Glas in der Hand hielt «Zeit für die schlechte Nachricht», rief er und grinste auf die verschlagene Tour, die Zoyd seit langem vertraut war. «Bereit?» Wie eine Schlange ließ er den Kopf vorwärtsschnellen und nahm einen riesigen Bissen Glas. Heilige Scheiße, Zoyd wie erstarrt, er hat sie nichi mehr alle - aber nein, weit gefehlt, Hector war jetzt am Kauen, mahlte und schlabberte, immer das gleiche üble Grinsen im Gesicht, und gab ein genießerisches «Mnjam-mnjam!» und «{Querico, que'sabroso!» von sich. Van Meter spurtete hinter einem abfahrenden Notarztwagen her und brüllte «Sani! Sani!», aber Zoyd hatte geschaltet. Er kannte sich aus in Mediensachen, schließlich las er den TV Guide, und er erinnerte sich gerade an einen Artikel über die Tricks der Stuntmen und daß man Fensterscheiben aus klaren Zuckerplatten für sie machte, die zwar zersplitterten, aber niemanden verletzten. Drum hatte es sich diesmal so komisch angefühlt - der junge Wayvone hatte die normale Fensterscheibe rausnehmen und durch eine aus Zuckerglas ersetzen lassen. «Wieder reingefallen, Hector, danke.»  

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«Und jetzt», kündigte Moderator Skip Tromblay schmunzelnd an, «zu einem Ereignis, das in Vineland schon Tradition hat. Wie alle Jahre wieder vollführte Mr. Zoyd Wheeler, Freigänger aus der örtlichen Nervenheilanstalt, heute seinen nun schon vertrauten alljährlichen Sprung durch eine Schaufensterscheibe des Bezirks. Diesmal traf es die berüchtigte <Cucumber Lounge>, die Sie hier sehen können, wo sie immerzu sehen ist, nämlich dicht am Highway 101. IhrTV86-<Hot Shot>-Nachrichtenteam wurde von einem anonymen Anrufer informiert und präsentiert Ihnen nun eine Aufzeichnung von Wheelers Glanztat, die es voriges Jahr um ein Haar zu einer landesweiten Ausstrahlung in <Good Morning America> gebracht hätte.»

«Sieht gut aus, Dad.» In der Glotze kam Zoyd wie ein Geschoß aus dem Fenster geflogen, unterlegt mit dem nachsynchronisierten Klirren einer nunmehr echten Glasscheibe, Polizeiautos und Feuerwehr-Gerätschaften untermalten die Szene mit fröhlichem Chromglitzern. Zoyd sah, wie er auf dem harten Boden aufkam, abrollte, sich aufrichtete und kreischend, mit gefletschten Zähnen, auf die Kamera losging. Seine Pro-forma-Verhaftung und Freilassung waren geschnitten worden, aber Zoyd konnte mit Befriedigung feststellen, daß das Partykleid mit seinem nostalgisch-hawaiiani-schen Papageien- und Hulamädchen-Druck in Leuchtorange, fast ultraviolettem Purpur, etwas kreischigem Grün und einem zarten Hauch von Lila als echter Blickfang rüberkam. Auf einem anderen Kanal, einem der San Francisco-Sender, wurde die Szene in Zeitlupe wiederholt: Millionen von Kristallen zogen Flugbahnen, die von so glatter Perfektion waren wie die Tropfen eines Springbrunnens, und Zoyd fand mitten im Flug die Zeit, durch eine Reihe von Posen zu rotieren, an die er sich beim besten Willen nicht erinnern konnte, die aber, zu Standbildern eingefroren, anderswo für erste Preise in irgendwelchen Foto Wettbewerben gut gewesen wären. Anschließend kamen die Highlights aus seinen früheren Versuchen, wobei die Farben mit jedem Schritt zurück in die Vergangenheit schlechter und die übrigen Produktionsdetails liebloser wurden, worauf eine Podiumsdiskussion unter Fachleuten folgte, darunter ein Physikprofessor, ein Psychologe und ein Leichtathletiktrainer, live zugeschaltet von den Olympischen Spielen unten in Los Angeles, die die Entwicklung von Zoyds Sprungtechnik im Lauf der Jahre analysierten und zu einer grundlegenden Unterscheidung zwischen dem Typus der defenestrativen, aus einem Fenster schlicht hinausspringenden, und dem der transfenestrativen, nämlich durch das Fenster hindurchzielenden, Persönlichkeit gelangten, die ganz unvergleichbare psychische Subtexte aufwiesen. Zu circa diesem Zeitpunkt begann Zoyds und Prairies Aufmerksamkeit zu erlahmen.   - Thomas Pynchon, Vineland. Reinbek bei Hamburg 2015

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