Tuntenball    An diesem Abend ging Harry zum Transvestitenball. Dort tummelten sich Hunderte von Tunten, als Frauen verkleidet, darunter solche mit teuren Roben, Juwelen und Pelzstolen aus dem Kostümverleih. Sie paradierten durch den riesigen Ballsaal, begrüßten einander mit Zurufen, fielen sich in die Arme, bewunderten einander, zogen verächtliche Grimassen, wenn eine vorüberging, die sie haßten. O Gott, sieh dir doch bloß diesen Fetzen an, den die trägt. Wie die letzte Hure. Aber die könnte anhaben, was sie wollte, Sie würde sogar in einem Dior-Modell zum Davonlaufen aussehen, und sie starrten ihr verächtlich nach und rauschten weiter.

Andere, viele Hunderte, waren nicht als Frauen ver-kieidet, darunter auch einige wenige Tunten, die ebenfalls umhergingen, doch meist handelte es sich um Gelegenheitsschwule und Bisexuelle. Sie saßen längs den Wänden auf Klappstühlen oder lehnten an den Wänden, kaum sichtbar in den Schatten des spärlich erleuchteten Saales, und spähten mit zusammengekniffenen Augen zu den Transve-stiten hinüber. Der ganze Ballsaal wurde von 4 mittelgroßen Scheinwerfern erleuchtet, in jeder Ecke einer, deren Helligkeit durch bunte Glasfilter gedämpft wurde, so daß farbige Lichtflecken über Decke und Wände krochen, zu Boden fielen, dort weiterkrochen und über ein Bein oder einen Rücken hinweg wieder in ihre Ecke hinaufkletterten. Die Transvestiten, die herumstanden oder -gingen, wurden fortwährend von den farbigen Tupfen gestreift und ihre seidigglatten nackten Arme waren grün purpurn feuerrot violett oder gelb gefleckt oder, wenn die Farben sich überkreuzten, von einem Farbgemisch übergössen; Fleisch wurde zugedeckt von bräunlichen oder bläulichen Lichtkernen, die vielfarbig erzitternde Ellipsen ausstießen, oder eine rosa, weiß oder sonnenbraun geschminkte Wange wurde plötzlich von einem großen brandigen Fleck entstellt; das übrige Gesicht verschwand in gelblichen und violetten Schatten, worauf die Wange zunächst purpurn, dann zinnoberrot aufleuchtete; ein gelegentlicher Lichtschimmer ritzte die Gesichter der sich längs den Wänden des prächtigen Ballsaals aufhaltenden Männer und entriß den Schatten für kurze Zeit ein weit geöffnetes starrendes Auge oder ein Paar feuchtgrüner Lippen; das Licht kletterte die Wand hinunter, hastete über ihre Gesichter, kroch über den Boden in die nächstliegende Ecke und begab sich von neuem auf die Wanderschaft. Einige der Schatten sprachen, einige lächelten sogar, doch die meisten saßen still und schweigend da, leicht vornübergebeugt, und verfolgten die Bewegungen des Lichts und die der Transvestiten. Hin und wieder, wenn eine Zigarette angezündet wurde, leuchtete eine Flamme auf und ein orangefarbenes Gesicht sprang vor, worauf es viele Sekunden lang gänzlich unsichtbar blieb, ehe die Schatten es zögernd wieder entließen; die Augen sahen nie, auch nicht für eine Sekunde, woanders hin als auf die Transvestiten und das umhervagabundierende Licht.

Harry stand am Eingang des pompösen Ballsaals und blickte umher, glitt dann zur Seite, lehnte sich gegen die Wand und bemühte sich, mit den Augen seine Freunde aufzuspüren. Er wußte, daß fast jeder, der bei Mary verkehrte, hier war, doch er konnte sie in Frauenkleidung nicht wiedererkennen. Als seine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, sah er sich die Transvestiten auf dem Parkett genauer an. Obwohl er wußte, daß es Männer waren, überraschte es ihn, wie sehr sie Frauen glichen. Schönen Frauen. Noch nie in seinem Leben hatte er Frauen gesehen, die schöner oder weiblicher gewesen wären als die Tunten, die hier durch den Saal schlenderten.   - Hubert Selby, Letzte Ausfahrt Brooklyn. Reinbek bei Hamburg 1989

Schwuchtel Ball

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