runksucht    Maßlose Begierde nach berauschenden Getränken. Ich gebe zu, daß dieses Laster weder kostspielig noch raffiniert ist. Die Gewohnheitstrinker haben keinen feinen Gaumen: »Sie sind mehr darauf aus, den Wein zu schlucken als zu schmecken«, sagt Montaigne; »ihre Absicht ist unverkennbar Völlerei.« Ich gebe sogar zu, daß dieses Laster für das Gewissen weniger belastend ist als viele andere; aber es ist ein stumpfsinniges, rohes, viehisches Laster, das die Fähigkeiten des Geistes stört & den Körper angreift & umwirft. Es ist gleichgültig, ob man seine Vernunft in Tokajer oder in Landwein ertränkt; dieser Unterschied zwischen dem großen Herrn & dem Schuster macht das Laster nicht weniger schimpflich. Darum verbot Platon, um die Wurzeln dieses Lasters rechtzeitig auszurotten, den Söhnen jedes Standes, vor der Pubertät Wein zu trinken, & er erlaubte ihn im Mannesalter nur bei Festen & Gastmählern; er untersagte ihn auch den Staatsbeamten vor der Ausübung ihrer Ämter und öffentlicher Geschäfte & allen Eheleuten in der Nacht, die für die Zeugung von Kindern bestimmt ist.

Es ist jedoch wahr, daß das Altertum dieses Laster nicht allgemein verpönt hat &  zuweilen von ihm sogar allzu nachsichtig spricht. Die Sitte, die Nächte zu durchzechen, herrschte bei den Griechen, den Germanen & den Galliern; erst seit ungefähr vierzig Jahren ist unser Adel sonderbarerweise von diesem Brauch eher abgekommen. Sollten wir uns gebessert haben? Oder sollte es nur daher kommen, daß wir schwächer geworden sind, lieber im Kreis der Frauen verkehren & deshalb jetzt schwächlicher & wollüstiger sind?

Der Philosoph muß allerdings die Trunksucht des einzelnen von einer gewissen Trunksucht des Volkes unterscheiden, die ihren Ursprung in dem Landstrich hat, der allein Anschein nach die Bewohner der nördlichen Länder zum Trinken zwingt. Die Trunksucht ist auf der ganzen Erde verbreitet, & zwar stets im Verhältnis zur Kälte & Feuchtigkeit des Klimas. Fahren Sie vom Äquator bis zum Nordpol, so sehen Sie, wie die Trunksucht mit den Breitengraden zunimmt; fahren Sie von demselben Äquator zum entgegengesetzten Pol, so sehen Sie die Trunksucht auch in Richtung Süden zunehmen, genau wie es in nördlicher Richtung der Fall war.

Natürlich wird die Trunksucht dort, wo der Wein im Widerspruch zum Klima steht & folglich der Gesundheit schadet, strenger bestraft als in den Ländern, wo sie kaum schädliche Wirkungen für den einzelnen & für die Gesellschaft hat, die Menschen nicht zur Raserei bringt, sondern nur stumpfsinnig macht. So waren die Gesetze, die einen Betrunkenen sowohl wegen des Vergehens, das er sich zuschulden kommen ließ, als auch wegen der Trunkenheit bestraften, nur auf die Trunksucht des einzelnen & nicht auf die Trunksucht des Volkes anwendbar. In der Schweiz ist die Trunksucht nicht verpönt; in Neapel wird sie verabscheut; aber welche von beiden Erscheinungen ist im Grunde mehr zu fürchten: die Unmäßigkeit des Schweizers oder die Zurückhaltung des Italieners?

Doch darf diese Bemerkung uns nicht daran hindern, zu schlußfolgern, daß die Trunksucht im allgemeinen & im besonderen immer ein Übel ist, vor dem man sich hüten muß; sie bedeutet einen Verstoß gegen das Naturgesetz, das uns unsere Vernunft zu bewahren heißt; sie ist ein Laster, das durch das Alter nicht gebessert wird & dessen Übermaß uns zugleich die Rüstigkeit & den Geist raubt & dem Körper einen Teil seiner Kräfte entzieht. - (enc)

Trunksucht (2)    Bill hatte mehr Schulden als ein Schnitzlerscher Major und Dr. Bob konnte bald kein Operationsbesteck mehr halten, wenn er nicht zuvor eine halbe Flasche Schnaps eingefüllt hatte. Bill; ein Schrei- und Assoziationsgenie der New Yorker Börse, hatte anfangs viel Erfolg mit dieser säkularisierten Form des Betens, des Schreiens aus der Tiefe. Aber Bill brauchte immer mehr Schnaps, um diese auf den Kopf gestellten Sprachen des Jeremias und des Hiob auf Dauer zu konterkarieren, Bill wurde trunksüchtig, denn Trunksucht ist Geisteshunger, Sprachschmerz und Gottessucht. Dr. Bob, abgefallen von der oberen Mittelschicht und zunächst eher ein Stompin-at-the-Savoy-Trinker, machte seinen Weg durch die Ausbildung zum Chirurgen und bis an die OP-Tische der bald auffällig wechselnden Hospitäler zwar mit amerikanisch-kinohafter Eile - aber nur um den Preis steigender Besoffenheit. Es war Dr. Bob schrecklich, wenn man ihm sagte, er könne operieren; er war )edesmal schockhaft erleichtert, wenn er später in Erfahrung brachte, daß er einen auf dem OP-Tisch festgebundenen Leberblum tatsächlich laparaskopiert - ihm durchaus nicht ›The Life and Opinions of Tristram Shandy Gentleman‹ vorgelesei hatte.  - (kap)
 
 

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