Es ist jedoch wahr, daß das Altertum dieses Laster nicht allgemein verpönt hat & zuweilen von ihm sogar allzu nachsichtig spricht. Die Sitte, die Nächte zu durchzechen, herrschte bei den Griechen, den Germanen & den Galliern; erst seit ungefähr vierzig Jahren ist unser Adel sonderbarerweise von diesem Brauch eher abgekommen. Sollten wir uns gebessert haben? Oder sollte es nur daher kommen, daß wir schwächer geworden sind, lieber im Kreis der Frauen verkehren & deshalb jetzt schwächlicher & wollüstiger sind?
Der Philosoph muß allerdings die Trunksucht des einzelnen von einer gewissen Trunksucht des Volkes unterscheiden, die ihren Ursprung in dem Landstrich hat, der allein Anschein nach die Bewohner der nördlichen Länder zum Trinken zwingt. Die Trunksucht ist auf der ganzen Erde verbreitet, & zwar stets im Verhältnis zur Kälte & Feuchtigkeit des Klimas. Fahren Sie vom Äquator bis zum Nordpol, so sehen Sie, wie die Trunksucht mit den Breitengraden zunimmt; fahren Sie von demselben Äquator zum entgegengesetzten Pol, so sehen Sie die Trunksucht auch in Richtung Süden zunehmen, genau wie es in nördlicher Richtung der Fall war.
Natürlich wird die Trunksucht dort, wo der Wein im Widerspruch zum Klima steht & folglich der Gesundheit schadet, strenger bestraft als in den Ländern, wo sie kaum schädliche Wirkungen für den einzelnen & für die Gesellschaft hat, die Menschen nicht zur Raserei bringt, sondern nur stumpfsinnig macht. So waren die Gesetze, die einen Betrunkenen sowohl wegen des Vergehens, das er sich zuschulden kommen ließ, als auch wegen der Trunkenheit bestraften, nur auf die Trunksucht des einzelnen & nicht auf die Trunksucht des Volkes anwendbar. In der Schweiz ist die Trunksucht nicht verpönt; in Neapel wird sie verabscheut; aber welche von beiden Erscheinungen ist im Grunde mehr zu fürchten: die Unmäßigkeit des Schweizers oder die Zurückhaltung des Italieners?
Doch darf diese Bemerkung uns nicht daran hindern, zu schlußfolgern, daß
die Trunksucht im allgemeinen & im besonderen immer ein Übel ist, vor dem
man sich hüten muß; sie bedeutet einen Verstoß gegen das Naturgesetz, das uns
unsere Vernunft zu bewahren heißt; sie ist ein Laster, das durch das Alter nicht
gebessert wird & dessen Übermaß uns zugleich die Rüstigkeit & den Geist
raubt & dem Körper einen Teil seiner Kräfte entzieht. - (
enc
)
- (
kap
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