Tropengewitter  Während der Abendwache wehte eine leichte Brise von achtern, die allmählich schwächer wurde. Noch vor Mitternacht wurde es totenstill. Eine schwere, schwarze Wolke bedeckte den Himmel. Als unsere Wache um zwölf Uhr an Deck kam, war eine Höllenfinsternis. Die Leesegel waren weggenommen und die Royals festgemacht. Kein Lüftchen rührte sich. Die Segel hingen schlaff und regungslos von den Raaen. Die Ruhe und die Finsternis, die fast fühlbar war, wirkten beängstigend. Kein Wort wurde gesprochen. Alle standen umher, als ob sie ein unbekanntes Unheil erwarteten. Nach wenigen Minuten kam der Obersteuermann nach vorn. Mit leiser, fast flüsternder Stimme befahl er uns, den Klüver herunterzuholen. Vor- und Kreuzbramsegel wurden ebenso schweigend weggenommen. Bewegungslos lag das Schiff auf dem Wasser. Wir hörten den Kapitän an Deck auf und ab gehen. Es war so dunkel, daß wir kaum die Hand vor den Augen sehen konnten. Bald kam auch der Obersteuermann wieder nach vorn. Mit leiser Stimme befahl er, das Großbramsegel aufzugeien. Diese Scheu und diese Schweigsamkeit wirkten so ansteckend, daß wir die Geitaue und Gordings holten, ohne dabei auszusingen. Mit einem der Jungen ging ich nach oben, um das Segel festzumachen. Gerade hatten wir die Mitte des Segels fest, als uns der Obersteuermann etwas zurief, was wir aber nicht verstehen konnten. Wir glaubten, es sei eine Aufforderung, uns zu beeilen. Wir machten das Segel daher schnell fest und gingen nach unten, indem wir uns an den Wanten hinuntertasteten. Als wir an Deck kamen, standen die Leute alle zusammen und schauten nach oben. Auf dem Großbrameselshaupt, gerade über der Stelle an der wir gestanden hatten, war eine Lichtkugel, das St. Elmsfeuer, wie es der Seemann nennt. Deshalb hatte uns auch der Obersteuermann angerufen. Alle beobachteten aufmerksam diese Erscheinung. Der Seemann glaubt, daß es gutes Wetter wird, wenn das Elmsfeuer in der Takelage nach oben steigt, steigt es aber herunter, dann bedeutet es Sturm. In diesem Fall stieg es herunter und stand auf der Nock der Bramraa. Wir waren gerade noch rechtzeitig von der Raa heruntergekommen, denn es gilt als verhängnisvoll, wenn einem das bleiche Licht des Elmsfeuers ins Gesicht fällt. Nach wenigen Minuten verschwand das Licht, um wieder auf der Vorbramraa aufzutauchen. Nachdem es eine Zeitlang hin- und hergewandert war, verschwand es von neuem, bis es der Ausgucksmann auf dem Ende des Außenklüverbaums entdeckte. Unsere Aufmerksamkeit wurde aber bald von dem Elmsfeuer abgelenkt. Es fielen einige Regentropfen, und die Dunkelheit nahm merkbar zu. Es war, als ob ein neuer dunkler Schatten die Nacht verfinstert hätte. Nach wenigen Minuten hörten wir in der Ferne langrollendes Donnern. Weit im Südwesten leuchteten schwache Blitze auf. Bis auf die Marssegel wurden jetzt alle Segel festgemacht. Immer noch blieb die erwartete Bö aus. Ab und zu bewegte ein Windhauch die Marssegel. Sie fielen aber wieder schlaff gegen den Mast, und alles war wieder still wie zuvor. Im nächsten Augenblick aber fiel ein fürchterlicher Blitz und Donnerschlag gleichzeitig über uns her. Direkt über uns schien sich eine Wolke zu öffnen, und es strömte ein Wasser herunter, als ob ein ganzer Ozean auf uns fiele. Reglos und fast betäubt standen wir umher. Es hatte abeTMiir-gends eingeschlagen. Donner auf Donner krachte über uns mit solcher Gewalt, daß uns buchstäblich der Atem stockte. Die hin- und herjagenden Blitze beleuchteten den Ozean mit Tageshelle. Der heftige Regenguß dauerte nur wenige Minuten. Ab und zu folgten noch kleinere Schauer. Das Blitzen aber hielt unaufhörlich für mehrere Stunden an. Während all dieser Zeit war nicht ein Lufthauch zu spüren. Immer noch lag das Schiff ohne jede Bewegung auf dem Wasser. Stunde um Stunde standen wir umher, bis unsere Wache um vier Uhr zu Ende war. Während der ganzen Zeit wurde kaum ein Wort gesprochen. Es wurde auch nicht geglast, und der Rudersmann wurde schweigend abgelöst. Zeitweise fiel der Regen in heftigen Schauern. Wir waren vollständig durchnäßt, und durch die Blitze geblendet, die diese ägyptische Finsternis grell durchbrachen. Das Krachen des Donners war so furchtbar, daß es schien, als ob selbst der Ozean erzitterte. Es kommt selten vor, daß ein Schiff durch den Blitz beschädigt wird. Die Elektrizität verteilt sich an Bord auf eine große Anzahl Punkte und auf das viele Eisen, das in allen Teilen des Schiffes verteilt ist.

Als wir um vier Uhr abgelöst wurden, war das Wetter noch unverändert. Es war nicht einfach, einzuschlafen. Jeden Augenblick konnte ein Blitz das Schiff auseinanderreißen oder in Brand stecken. Jeden Augenblick konnte die Totenstille von einem Orkan durchbrochen werden. Aber das ist kein Seemann, der nicht bei jedem Wetter schläft.

Als uns am andern Morgen bei sieben Glasen der gewohnte Ruf „Backbordwache an Deck" nach oben brachte, empfing uns zu unserer Freude wieder schönes, sonniges Wetter. Mit einer leichten Brise und unter allen Segeln glitt das Schiff ruhig durchs Wasser.  - (dana)

 

Tropen Gewitter

 

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