- Giorgio Manganelli,
Das indische Experiment. Berlin 2004 (zuerst 1992)
Tropen (2) Wir Nordländer dürfen uns
die Hitze unter dem Äquator nicht zu drückend vorstellen, und so sonderbar es
klingt, ist es doch gar nicht selten bei uns heißer als dort. Viel zur Milderung
trägt schon die kürzere Zeit der Sommertage bei. Die Sonne geht regelmäßig in
den Tropen um sechs Uhr auf und unter, im ganzen Jahre nur um wenige Minuten
differierend - steigt also nie vor acht Uhr über den Dunstkreis herauf und hat
um halb fünf Uhr abends schon wieder ihre größte Kraft verloren. Ferner sind
die dortigen Wohnungen alle so gebaut, Kühle zu verbreiten und dem Luftzug freien
Durchgang zu lassen, während unsere Häuser gerade im Gegenteil darauf berechnet
sein müssen, dem langen Winter Trotz zu bieten. Die wahrhaft heißen und endlosen
Tage, wo die Sonne morgens um fünf Uhr schon hoch am Himmel steht und um sieben
Uhr abends fast noch ihre volle Kraft hat, finden uns deshalb auf nichts vorbereitet,
was uns Kühlung bieten könnte. Fast verschmachtend, denken wir mit Schaudern
an die Unglücklichen, die jetzt noch unter dem Äquator leben müssen, während
wir hoch im Norden beinahe verbrennen, und wie würden wir diese »Unglücklichen«
beneiden, könnten wir sie zu solcher Stunde unter ihrem kühlen Porticus, im
Schatten dichter Fruchthaine, von der kühlen Seeluft angefächelt, sitzen sehen.
- Friedrich Gerstäcker, Unter dem Äquator. Nördlingen 1987 (Greno 19 | 20
Nr. 35, zuerst 1860)
Tropen (3)
Tropen (4) Es ist die
alte Zeit der alten Stunden. Der Kobold der Träume spinnt das Garn der Geschichten.
Die schwere, prunkvolle Architektur von Quirigua läßt an die orientalischen
Städte denken. Die tropische Luft entblättert die unsägliche Glückseligkeit
der Liebesküsse. Betäubende Balsamdüfte. Feuchte, breite und glühende Münder.
Laue Wasser, wo die Kaimane auf den unbegatteten Weibchen
schlafen. Die Tropen sind das Geschlecht der Erde. - Miguel Angel Asturias,
Legenden aus Guatemala. Frankfurt am Main 1973 (BS 358)
Tropen (5) Die Sonne
hat Lepra. Uns war, als hätte man uns eine Haube über den Kopf gezogen, sechs
Meter Luft rundherum und zwölf Fuß über uns eine wattierte Polsterdecke. Schreien
war zwecklos. Schweißbäche rannen über unseren Körper, dicke Tropfen lösten
sich, fielen auf den Magen, lauwarm und langsam, lauwarm wie das Ei, das aufbricht,
langsam wie das Fieber, das ausbricht. Wir fraßen Chinin. Uns war kotzübel.
Unsere Ruder wurden weich in der Hitze. Die Kleider schimmelten. Es regnete
unaufhörlich, heißes Wasser fiel vom Himmel, und unsere Zähne wurden locker.
Was für ein Traum, was für ein Opiumrausch! Alles, was an unserem engen Horizont
auftauchte, war korallen, glasiert, blinkend, hart, verblüffend scharf, und
wie im Traum war noch der kleinste Gegenstand aggressiv, bösartig, voll dumpfer
Feindseligkeit, logisch und unwahrscheinlich zugleich. Wie Fieberkranke, die
sich in ihrem Bett wälzen, ruderten wir ans Ufer, um ein bißchen zu verschnaufen.
Ein neuer Alp! Fast jedesmal schob sich das Unterholz auseinander, um eine drohende
Indianerhorde durchzulassen, hochgewachsene, kräftige Männer mit strähnigem
Haar, die Nasenflügel mit einem spitzen Stäbchen durchbohrt,
die Ohrläppchen mit schweren Scheiben aus Elfenbein ausgeweitet, die Unterlippe
mit Hakenzähnen und Krallen geschmückt oder mit Stacheln
gespickt. - (
mora
)
Tropen (6) Das ist ein eigner
Reitz der Republik, daß sich alles in ihr
viel freyer äußert. Tugenden und Laster, Sitten und Unarten, Geist und Dummheit,
Talent und Ungeschicklichkeit treten viel stärker hervor und so gleicht eine
Republik dem tropischen Klima, nur nicht in der Regelmäßigkeit der Witterung.
- Novalis,
Teplitzer Fragmente
Tropen (7)
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