ropen    Leicht absurd wirkt das Bild eines dicken Mailänder Professors, der von Goa nach Trivandrum fliegt; eine Situation, die weder dem Wesen eines Professors noch eines Mailänders noch eines Dicken entspricht. Die Reisen haben einen Hang zu Schwindeleien und Illusionskünsten, daher kommt ihr Zauber und ihr Gift. Zum Reisen müssen wir unsere Verkleidung wechseln. Mit welcher Schminke, so frage ich mich, habe ich es geschafft, mich auf die Reise ins Kerala zu machen; ich entpuppe mich als mein eigener Verzauberer. Das Flugzeug fliegt so tief, daß man einen der eindrucksvollsten Strände der Welt sehen kann, wobei ich sagen muß, daß ich praktisch überhaupt keinen Strand kenne. Die Tropen: dicht gedrängte schmachtende Palmen, Wälder, Flüsse mit trüben, ausgeweiteten Mündungen. Hitzedunst schwappt zwischen dem Meer und den Baumflächen hin und her. Das muß Calicut sein, wo Vasco da Gama ankam, auf der Suche nach dem Presbyter Johannes, einem Kaiser, der sich irgendwo zwischen Äthiopien und Japan befinden mußte und ein Christ war. Eine Landzunge, das wird Cochin sein: von hier aus fuhr Vasco nach Goa. Und in dieser Gegend kam auch der allgegenwärtige Marco Polo vorbei und schrieb sich etwas auf über die Hölzer, die Perlen und die Götzendiener von Malabar. Das Flugzeug senkt sich, ich bekomme Ohrensausen und immer besser sehe ich das Dickicht der Wälder, weibliche Wasser, erhitzte, tief hängende Wolken. - Giorgio Manganelli, Das indische Experiment. Berlin 2004 (zuerst 1992)

Tropen (2)   Wir Nordländer dürfen uns die Hitze unter dem Äquator nicht zu drückend vorstellen, und so sonderbar es klingt, ist es doch gar nicht selten bei uns heißer als dort. Viel zur Milderung trägt schon die kürzere Zeit der Sommertage bei. Die Sonne geht regelmäßig in den Tropen um sechs Uhr auf und unter, im ganzen Jahre nur um wenige Minuten differierend - steigt also nie vor acht Uhr über den Dunstkreis herauf und hat um halb fünf Uhr abends schon wieder ihre größte Kraft verloren. Ferner sind die dortigen Wohnungen alle so gebaut, Kühle zu verbreiten und dem Luftzug freien Durchgang zu lassen, während unsere Häuser gerade im Gegenteil darauf berechnet sein müssen, dem langen Winter Trotz zu bieten. Die wahrhaft heißen und endlosen Tage, wo die Sonne morgens um fünf Uhr schon hoch am Himmel steht und um sieben Uhr abends fast noch ihre volle Kraft hat, finden uns deshalb auf nichts vorbereitet, was uns Kühlung bieten könnte. Fast verschmachtend, denken wir mit Schaudern an die Unglücklichen, die jetzt noch unter dem Äquator leben müssen, während wir hoch im Norden beinahe verbrennen, und wie würden wir diese »Unglücklichen« beneiden, könnten wir sie zu solcher Stunde unter ihrem kühlen Porticus, im Schatten dichter Fruchthaine, von der kühlen Seeluft angefächelt, sitzen sehen. - Friedrich Gerstäcker, Unter dem Äquator. Nördlingen 1987 (Greno 19 | 20 Nr. 35, zuerst 1860)

Tropen (3)  

Tropen (4)  Es ist die alte Zeit der alten Stunden. Der Kobold der Träume spinnt das Garn der Geschichten. Die schwere, prunkvolle Architektur von Quirigua läßt an die orientalischen Städte denken. Die tropische Luft entblättert die unsägliche Glückseligkeit der Liebesküsse. Betäubende Balsamdüfte. Feuchte, breite und glühende Münder. Laue Wasser, wo die Kaimane auf den unbegatteten Weibchen schlafen. Die Tropen sind das Geschlecht der Erde.  - Miguel Angel Asturias, Legenden aus Guatemala. Frankfurt am Main 1973 (BS 358)

Tropen (5)  Die Sonne hat Lepra. Uns war, als hätte man uns eine Haube über den Kopf gezogen, sechs Meter Luft rundherum und zwölf Fuß über uns eine wattierte Polsterdecke. Schreien war zwecklos. Schweißbäche rannen über unseren Körper, dicke Tropfen lösten sich, fielen auf den Magen, lauwarm und langsam, lauwarm wie das Ei, das aufbricht, langsam wie das Fieber, das ausbricht. Wir fraßen Chinin. Uns war kotzübel. Unsere Ruder wurden weich in der Hitze. Die Kleider schimmelten. Es regnete unaufhörlich, heißes Wasser fiel vom Himmel, und unsere Zähne wurden locker. Was für ein Traum, was für ein Opiumrausch! Alles, was an unserem engen Horizont auftauchte, war korallen, glasiert, blinkend, hart, verblüffend scharf, und wie im Traum war noch der kleinste Gegenstand aggressiv, bösartig, voll dumpfer Feindseligkeit, logisch und unwahrscheinlich zugleich. Wie Fieberkranke, die sich in ihrem Bett wälzen, ruderten wir ans Ufer, um ein bißchen zu verschnaufen. Ein neuer Alp! Fast jedesmal schob sich das Unterholz auseinander, um eine drohende Indianerhorde durchzulassen, hochgewachsene, kräftige Männer mit strähnigem Haar, die Nasenflügel mit einem spitzen Stäbchen durchbohrt, die Ohrläppchen mit schweren Scheiben aus Elfenbein ausgeweitet, die Unterlippe mit Hakenzähnen und Krallen geschmückt oder mit Stacheln gespickt.  - (mora)

Tropen (6)    Das ist ein eigner Reitz der Republik, daß sich alles in ihr viel freyer äußert. Tugenden und Laster, Sitten und Unarten, Geist und Dummheit, Talent und Ungeschicklichkeit treten viel stärker hervor und so gleicht eine Republik dem tropischen Klima, nur nicht in der Regelmäßigkeit der Witterung.   - Novalis, Teplitzer Fragmente

Tropen (7)

 

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