röster  Er erklärt einem unbekannten unglücklichen Künstler, daß Berühmtheit nicht das einzige Zeichen für Hervorragendes ist. Ein Kunstwerk kann vollkommen sein und gleichzeitig unbekannt.

Und hingebungsvoll, mit allem ihm zur Verfügung stehenden Eifer, entwickelt er dieses tröstliche Thema. Doch während er redet und redet wird das Gesicht des andern länger und länger und löst sich schließlich in Tränen auf.  - (rp)

Tröster (2)

Tröster (3)  Vater mußte ständig an den Tod denken, als wäre er nunmehr mit ihm in Kontakt getreten.

Eines Abends fragte er mich: «Glaubst du, daß alles zu Ende ist, wenn man stirbt?»

Über das Mysterium des Todes grüble ich Tag für Tag, aber ich war noch nicht in der Lage, meinem Vater die gewünschte Auskunft zu erteilen. Um ihm aber Freude zu machen, täuschte ich einen heiteren und zuversichtlichen Glauben an ein anderes Leben vor.

«Ich glaube, daß die Freude bleibt und der Schmerz all seine Macht verliert, denn wozu sollte er noch dienen? Die Verwesung könnte irgendwie an die erotische Ekstase erinnern. Sicherlich wird sie vom Gefühl der Glückseligkeit und der Ruhe begleitet, ist doch das Gegenteil, der neue Aufbau, so mühselig. Die Auflösung ist gewiß Ziel und Preis des Lebens!»

Ich blamierte mich damit gehörig. Wir saßen noch bei Tisch nach dem Abendessen. Er erwiderte kein Wort, stand auf, leerte sein Glas und warf dann hin:  «Es ist nicht die Stunde zu philosophieren. Insbesondere nicht mit dir.»

Und verschwand. Ich ging ihm traurig nach. Ich wollte an seiner Seite bleiben, um ihn von seiner trüben Stimmung zu befreien. Er schickte mich aber fort, indem er erklärte, daß ihn meine Anwesenheit an den Tod und seine Wollust erinnere.  - (cos)

Tröster (4)   Sie bildeten ein prachtvolles Paar. Die Pseudo-Véronique war ziemlich groß, vielleicht einen Meter siebzig, aber er war um einen Kopf größer. Sie schmiegte ihren Körper vertrauensvoll an den seinen. Tisserand setzte sich neben mich; er zitterte an allen Gliedern. Er schaute wie hypnotisiert auf das Paar. Ich wartete ungefähr eine Minute; dieser Slow, ich erinnerte mich, war endlos. Dann rüttelte ich ihn sanft an der Schulter und sagte mehrmals: «Raphaël ...»

«Was soll ich bloß tun1?-», sagte er.

«Hol dir doch einen runter.»

«Meinst du, es ist gelaufen^»

«Natürlich. Es ist schon lange gelaufen, von Anfang an ist es gelaufen. Du wirst nie einen erotischen Traum für junge Mädchen darstellen, Raphaël. Du musst dich damit abfinden; diese Dinge sind nicht für dich. Auf alle Fälle ist es längst zu spät. Der sexuelle Misserfolg, Raphael, den du seit der Pubertät erfahren hast, die Frustration, die dich verfolgt, seit du dreizehn bist, werden in dir eine unauslöschliche Spur hinterlassen. Selbst wenn du irgendwann einmal Frauen haben solltest, was ich ehrlich gesagt nicht glaube, wird das nicht genügen; nichts wird jemals genügen. Du wirst immer ein Waisenkind dieser Jugendlieben bleiben, die du nicht erfahren hast. Die Wunde in dir schmerzt; sie wird immer schmerzhafter werden. Eine schreckliche, unbarmherzige Bitterkeit wird am Ende dein Herz erfüllen. Für dich gibt es weder Erlösung noch Linderung. So ist das. Aber das soll nicht heißen, dass dir jede Möglichkeit der Rache verboten ist. Diese Frauen, die du so sehr begehrst, kannst auch du besitzen. Du kannst sogar das besitzen, was am kostbarsten an ihnen ist. Was ist das Kostbarste an ihnen, Raphaël?»

«Ihre Schönheit?», sagte er aufs Geratewohl.

«Es ist nicht ihre Schönheit, in diesem Punkt muss ich dich eines Besseren belehren; es ist auch nicht ihre Möse, ja, nicht einmal ihre Liebe; denn das alles verschwindet mit dem Leben. Aber du kannst schon jetzt ihr Leben besitzen. Noch heute Abend sollst du die Laufbahn des Mörders betreten; glaub mir, mein Freund, das ist die einzige Chance, die dir bleibt. Wenn du diese Frauen vor der Spitze deines Messers zittern und um ihre Jugend flehen siehst, wirst du wahrhaftig ihr Herr und Meister sein; du wirst ihren Leib und ihre Seele besitzen. Vielleicht kannst du sogar, bevor du sie opferst, ein paar schmackhafte Leckereien ergattern; ein Messer, Raphaël, ist ein mächtiger Verbündeter.» - Michel Houellebecq, Ausweitung der Kampfzone (1999, zuerst 1994)

 

Trost

 

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