Trennungsschmerz   Frau Brixen sagte: »Mein Mann ist tot. Er liegt hier im Haus. Das ist ein großes Haus mit einem weiten Garten. Ich werde es verkaufen, denn ohne meinen Mann kann ich nicht sein. Ohne ihn habe ich nichts geschrieben, er hat meine Arbeiten sogar initiiert, und jetzt will meine Tochter nicht im Hause bleiben, weil sie sich vor dem Toten fürchtet. Aber der bleibt hier, auch wenn er stinkt, denn er soll stinken. Die Leute von der Polizei wollen ihn mir wegnehmen, aber die kommen hier nicht rein. Und wenn sie kommen, werde ich mit Stiefelabsätzen um mich stoßen, werde kratzen, beißen. Ich lasse nicht zu, daß er fortgetragen wird und in der kalten Friedhofshalle liegen muß. Sie sollen ihn hier am Tag der Beerdigung in den Sarg legen und wegtragen. Dann geh ich mit ihm bis zur Grube.«

Sie redete mit rascher, schriller Stimme. Als Eugen sagte, die Männer von der Polizei kämen doch nur zu ihr, um einen Auftrag zu erfüllen, denn ein Toter müsse aus der Wohnung geschafft werden: »dagegen sollten Sie sich nicht wehren. Sie sind auch, ohne seinen Leib im Haus zu haben, mit ihm verbunden, und was ist denn ein toter Menschenleib anderes als ein Kleid oder ein Anzug, nur halt aus Fleisch und Bein? Ich glaub nicht, daß er mehr ist.« -»Aber ich habe seinen Geruch geliebt, seinen Hauch und alles!« schrie sie. Und Eugen sagte: »Ich will's Ihnen bloß leichter machen, und Sie sollten's sich nicht schwerer machen, und ich wünsche Ihnen alles Gute.« - »Nein, wünschen Sie mir alles Schlechte. Mir darf es nicht gut gehen, mir muß es schlecht gehen!«

Es war grausig, ließ sich aber nicht mildern. Auch nicht als Eugen sagte, mit Rücksicht auf ihre Tochter sollte sie einwilligen, daß der Tote aus dem Haus getragen wird; denn sie rief: »Die ist doch bei meiner Mutter, die kommt erst wieder, wenn er in der Grube liegt, und ich gehe mit ihm von hier bis zur Grube!« Wobei Eugen an seine Mutter dachte, die zu ihm gesagt hatte, sie habe ihre Mutter zwar sehr gern gehabt, doch als sie tot gewesen sei, habe es ihr vor ihr gegraust.   - Hermann Lenz, Herbstlicht. Frankfurt am Main 2000

 

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