reffpunkt  Bei den schönsten Träumen kann es einem geschehen, daß sie sich unversehens in Alpträume verwandeln, und so kam mir jetzt in den Sinn, daß der Treffpunkt unserer beiden Parallelen auch derjenige sein könnte, in dem alle im Raum befindlichen Parallelen sich trafen, dann nämlich würde er nicht nur die Begegnung zwischen mir und Ursula H'x bezeichnen, sondern auch - verfluchte Aussicht - die mit Oberleutnant Fenimore. Im nämlichen Augenblick, da Ursula H'x aufgehört haben würde, für mich eine Fremde zu sein, würde ein Fremder mit dünnem schwarzen Schnurrbart unsere Intimitäten aufs unwiderruflichste teilen: dieser Gedanke genügte, um mich in die entsetzlichsten Eifersuchtshalluzinationen zu stürzen: ich hörte, wie der Schrei, den unsere Begegnung - meine und ihre - uns entriß, sich zu einem einzigen krampfhaften Lustschrei vereinigte, und da - bei der bloßen Vorstellung erstarrte ich zu Eis - löste sich davon der gellende Schrei einer hinterrücks Vergewaltigten - so stellte ich es mir in meiner mißgünstigen Einseitigkeit vor - und gleichzeitig das vulgäre Triumphgeschrei des Oberleutnants, aber vielleicht - und hier steigerte sich meine Eifersucht zum Delirium - waren diese ihre Schreie - der ihre und der seine - auch durchaus nicht so verschieden und dissonant, konnten auch sie zu einem Zusammenklang werden, sich zu einem einzigen großen, ja sogar zu einem Lustschrei vereinigen und sich dadurch unterscheiden von dem anhaltenden Verzweiflungsschrei, der aus meinem Munde hervorbrechen würde.  - Italo Calvino, Kosmokomische Geschichten. Frankfurt am Main 1969 (zuerst 1965)

Treffpunkt ⁽²⁾   Hinten im Garten, wo die Mauer an das westliche Nachbarhaus grenzte, war eine Hecke mit wilden Rosen. Hier kletterte Ying-ning mit Vorliebe hoch, um oben Blumen zu pflücken, die sie sich ins Haar steckte. Wenn Wangs Mutter sie dabei ertappte, tadelte sie sie, aber Ying-ning besserte sich nicht.

Eines Tages überraschte sie der Sohn des Nachbarn dabei. Hingerissen starrte er sie an. Sie aber lachte nur. Er hielt das für ein Zeichen, daß sie etwas für ihn übrig habe und wurde zudringlich. Sie zeigte nur lächelnd auf eine Stelle vor der Mauer und kletterte hinab. Er meinte, sie habe ihm einen Treffpunkt angedeutet, und freute sich.

In der Dämmerung ging er zu dem Platz und traf wirklich Ying-ning. Er trat zu ihr und umarmte sie, um mit ihr die Wonnen der Liebe zu genießen. Da fühlte er einen fürchterlichen Schmerz, ihm war, als sei er mit einer Schusterahle gestochen worden. Laut schreiend warf er sich auf die Erde. Als er hinsah, war da keine Frau, nur ein abgestorbener Baumstamm lag neben der Mauer. Das, was er berührt hatte, war nichts anderes als ein Loch, welches das Regenwasser in den Stamm gefressen hatte.

Auf das Jammern eilte sein Vater herbei und fragte ihn, was ihm fehle. Er stöhnte und antwortete nicht. Erst als seine Frau dazukam, erzählte er, was vorgefallen war. Sie leuchteten das Loch mit der Kerze ab und sahen, daß ein großer Skorpion darin herumkroch: Er war fast so groß wie ein kleiner Krebs. Der Vater brach das Holz auseinander, fing das Tier und schlug es tot. Er trug seinen Sohn ins Haus; um Mitternacht starb er.  - (pu-s)