Traum, wiederkehrender Es ist mir gelungen, ein gutes Dutzend wiederkehrender Träume, die mich als treue Weggefährten durch mein Leben begleitet haben, festzuhalten. Einige sind unglaublich banal: Ich falle unter Wohlgefühl in einen Abgrund, oder ein Tiger oder ein Stier verfolgt mich, ich bin in einem Zimmer, ich mache die Tür hinter mir zu, der Stier durchbricht die Tür - und so weiter.

Mein ganzes Leben hindurch stand ich im Traum immer wieder plötzlich vor der Notwendigkeit, meine Prüfungen zu wiederholen. Ich hatte gedacht, ich hätte sie mit Erfolg hinter mich gebracht, aber keineswegs. Ich muß sie noch einmal machen, und natürlich habe ich alles vergessen, was ich wissen sollte.

Ein anderer Traum desselben Typs ist sehr häufig bei Leuten vom Theater und vom Film anzutreffen: In wenigen Minuten muß ich auf die Bühne und eine Rolle spielen, aber ich habe das erste Wort vergessen. Der Traum kann sehr lang und kompliziert werden. Ich habe Angst und rege mich auf, das Publikum wird ungeduldig und pfeift, ich gehe zum Inspizienten oder zum Theaterdirektor und sage: „Es ist furchtbar, was soll ich bloß machen?" Aber er antwortet ungerührt, das müsse ich selber wissen. Der Vorhang werde hochgehen, man könne nicht länger warten. Eine grenzenlose Angst befällt mich. In Le Charme discret de la bourgeoisie (Der diskrete Charme der Bourgeoisie) habe ich versucht, ein paar Bilder dieses Traums zu rekonstruieren.

Ein anderer Angsttraum: die Rückkehr in die Kaserne. Mit fünfzig oder sechzig muß ich in einer alten Uniform in die Kaserne zurück, in der ich in Madrid meinen Militärdienst geleistet habe. Ich bin sehr beklommen, ich schleiche an den Mauern entlang, ich habe Angst, daß man mich wiedererkennt. Ich empfinde ein Gefühl der Schande, daß ich in meinem Alter noch Soldat bin, aber so ist es nun mal, ich kann nichts dran ändern, ich muß unbedingt mit dem Oberst sprechen und ihm meinen Fall erklären. Wie kommt es, daß ich nach allem, was ich im Leben mitgemacht habe, immer noch in der Kaserne bin?

Manchmal komme ich als Erwachsener nach Calanda in das Haus meiner Kindheit zurück, in dem sich, das weiß ich, ein Geist versteckt - eine Erinnerung daran, wie mir mein Vater nach seinem Tod erschienen ist. Ich gehe mutig in ein Zimmer ohne Licht und rufe den Geist, wer er auch sein möge, ich provoziere ihn, manchmal beschimpfe ich ihn sogar. Dann ertönt hinter mir ein Geräusch, eine Tür schlägt zu, und ich erwache mit einem Schrecken, ich habe niemanden gesehen.

Es passiert mir auch wie jedem andern, daß ich von meinem Vater träume. Er sitzt an der Familientafel, sein Gesicht ist ernst. Er ißt sehr langsam, sehr wenig und spricht kaum. Ich weiß, daß er tot ist, und ich sage leise zu meiner Mutter oder einer meiner Schwestern, die neben mir sitzt: „Wir dürfen es ihm bloß nicht sagen."

Geldmangel quält mich im Schlaf. Ich habe keinen Pfennig mehr, mein Bankkonto ist leer — wie soll ich nur mein Hotel bezahlen? Das ist einer der Alpträume, die mich, bis heute, mit der größten Hartnäckigkeit verfolgen.

Nur der Zugtraum ist mir ähnlich treu geblieben. Ich habe ihn Hunderte von Malen geträumt. Die Geschichte ist immer die gleiche, aber Einzelheiten und Nuancen variieren mit einer unglaublichen Subtilität. Ich bin in einem Zug, ich weiß nicht wo, mein Gepäck liegt über mir im Netz. Plötzlich fährt der Zug in einen Bahnhof ein und bleibt stehen. Ich stehe auf, um mir auf dem Bahnsteig ein wenig die Beine zu vertreten und etwas zu trinken.

Dabei bin ich sehr vorsichtig, denn ich bin schon sehr oft in diesem Traum gereist und weiß, daß der Zug, wenn ich den Fuß auf den Bahnsteig setze, urplötzlich abfährt. Das ist eine Falle, das weiß ich.

Deshalb bin ich auf der Hut. Ganz vorsichtig setze ich einen Fuß auf den Bahnsteig, schaue nach rechts und nach links, pfeife vor mich hin, als ob nichts wäre. Der Zug rührt sich nicht, um mich herum steigen die Reisenden ganz normal aus, darauf setze ich auch den anderen Fuß auf den Bahnsteig, und dann, auf einen Schlag, wie aus der Kanone geschossen: weg ist der Zug und - was noch schlimmer ist - mit ihm mein Gepäck! Ich stoße einen gewaltigen Fluch aus, ich stehe allein auf dem Bahnsteig, der plötzlich menschenleer ist, und erwache.

Wenn Jean-Claude Carriere und ich zusammenarbeiten und wir zwei nebeneinanderliegende Zimmer haben, hört er mich nachts manchmal durch die Wand aufschreien. Darüber regt er sich längst nicht mehr auf, er sagt sich einfach: Der Zug ist mal wieder abgefahren.   - Luis Buñuel, Mein letzter Seufzer. Berlin, Wien, Frankfurt am Main 1985

Traum, wiederkehrender (2)

 

Traum Wiederholung

 

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