Trauerzug   Ein Trauerzug windet sich durch den Markt. Schwarzer Sarg — arabische Inschrift in silbernem Filigran — auf den Schultern von vier Sargträgern. Die Trauergemeinde singt das Totenlied... Clem und Jody, einen Sarg schleppend, gesellen sich dazu... Eine tote Sau fällt aus dem Sarg... Die Sau trägt eine Djellaba, hat eine Kif-Pfeife im Maul, eine Mezuzzoth um den Hals, und zwischen die Zehen des rechten Vorderhufs ist ein Packen schmierige Ansichtskarten geklemmt. - (lun)

Trauerzug (2)  Ich gehe bei Pantin wieder die Straße nach Aubervilliers hinauf, in Richtung des Rathauses, da hole ich vor einem Haus, in dem ich einmal gewohnt habe, einen Beerdigungszug ein, der sich - zu meinem großen Erstaunen - in eine Richtung wendet, die der zum Friedhof von Paris genau entgegengesetzt ist. Bald bin ich auf einer Höhe mit dem Leichenwagen. Auf dem Sarg sitzt ein älterer, außerordentlich bleicher Mann in voller Trauerkleidung, mit einem Zylinder auf dem Kopf, der niemand anderer als der Tote selbst sein kann; sich abwechselnd nach links und rechts wendend erwidert er die Grüße der Passanten. Der Zug verschwindet in der Streichholzfabrik.   - André Breton, nach: Als die Surrealisten noch recht hatten. Texte und Dokumente, Hg. Günter Metken. Stuttgart 1976

Trauerzug (3)   Einige Zeit ging ich nachdenklich dahin, bis ich schließlich bemerkte, daß ich nicht allein war; ohne es gewahr zu werden, hatte ich meinen Schritt verlangsamt, um mich einem Zug von Leuten in Trauerkleidung anzuschließen, die hinter einem bescheidenen, aber doch würdigen Leichenwagen hergingen. Manche grüßten mich mit einem Kopfnicken, als würden sie mich kennen, ja sogar gut kennen. Vielleicht erzählte mir jemand - oder es schien mir nur so - die Geschichte dessen, den wir zur letzten Ruhestätte brachten. Ein mittelmäßiges, doch nicht niederträchtiges Leben; mit nutzloser Geduld ertragen, nach und nach aufgerieben durch Unglücksfälle, Krankheiten, sittlichen Verfall, die erbärmlichen Laster des Alters: Trinken, Spiel und elende geschlechtliche Hörigkeit. Keinen der Anwesenden schien dieser Tod zu bewegen, allen war jedoch eine diffuse Traurigkeit und die tiefe Besorgnis anzumerken, man könne unter diesen Umständen kein würdiges Begräbnis mit geziemendem, glaubwürdigem Schmerz zustande bringen.   - Giorgio Manganelli, Brautpaare. In: (irrt)

Trauerzug (4) Da gibt es gelles Weibergeschrei. Ein Menschenhaufe nähert sich, man macht ihnen Platz. Eine Anzahl Kinder läuft voraus, ein alter ernster Jude in Kaftan und Kappe geht mit starken Schritten vor den schreienden Weibern. Er sieht sich nicht nach ihnen um, keiner steht den Weibern bei. Warum sucht man nicht die Polizei, das Gefängnis ist doch in der Nähe. Warum läßt man die Frauen hilflos schreien, der alte Mann hat ihnen doch etwas getan. Und jetzt zieht der ganze Schwärm an mir vorbei, die Kinder wie Fliegen herum, die Frauen schreien gräßlich, hilflos. Der Mann geht unbekümmert. Und da sehe ich: der Mann hat einen Strick, einen Riemen über den Schultern nach dem Rücken. Und auf dem Rücken schleppt er - ich sehe den Mann von hinten - einen schwarzen langen Kasten, einen leichten Kasten. Ah, einen Sarg. Das ist es. Es ist eine Beerdigung. Das ist eine Leiche, eine Kinderleiche, eine Beerdigung der Ärmsten. Den Sarg schleppt er am Riemen auf dem Rücken. Darum kreischen die Frauen hinterher, keifen, raufen sich die Haare, die Mutter, Verwandte, Klageweiber. Eine Bäuerin geht gleich dahinter über den lehmigen Damm in einen offenen Torweg. Sie stellt sich hin, macht die Füße breit auseinander, zieht den Rock vorn an: ein dampfender Wasserstrahl prallt zwischen den Füßen, die rasch breiter auseinander treten, auf die Steine. Dick schießt der Harnstrahl aus ihren Röcken herab wie von einem derben Gaul.  - Alfred Döblin, Reise in Polen. München 1987 (zuerst 1925)

Trauerzug (5) Die Träger nahmen den Sarg auf. Die gekommen waren, bildeten einen Geleitzug und folgten der Witwe in ihren Schleiern. Paasch wußte nicht, wem er seinen Kranz geben sollte. Er wagte nicht, Arlecq danach zu fragen, da keiner sprach.

Da folgten ihnen die Engel lautlos. Traten aus Trauerweiden hervor und hinter Grabkreuzen, einen Flügelschlag lang vergoldeten Angesichts, von einer blattgolddünnen Sonne berührt, die strahlenlos hervorkam und zurückschwand hinter ziehenden Wolken. Es waren auch die darunter, die Hübner nicht gemalt hatte. Die schwertschlagenden Engel der Apokalypse, die Männerengel, die Engel Martin Schongauers und des Hans Baldung-Grien, die Engel von Dürer und Lucas Cranach in scharf gezogenen, tausendfach gebrochenen Linien. Es waren auch die Engel der Städte darunter, mit Mädchengesichtern und zaghaften Gebärden. Nur sie waren traurig. Auch die andern, die Engel der Gettos und Konzentrationslager, waren gekommen und zeigten eine gewisse Resignation, die sie, wie Arlecq aus Zeitungsfotos ersah, in Warschau, in den Neubauten auf den Trümmerhalden des Gettoviertels im Umgang mit Fahrstuhl und Müllschluckern angenommen hatten. - Fritz Rudolf Fries, Der Weg nach Oobliadooh. Leipzig 1993 (zuerst 1975)

 

Begräbnis

 

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