rauerarbeit   Wie das von der frühen Psychoanalyse eingeführte und ab etwa 1967 wiederaufgegriffene Wort zumindest in seiner Verwendung obskur und auf den Hund gekommen ist, zeigen vor allem auch seine Varianten: Von »Verdrängungsarbeit« hört man heutzutage viel — und jetzt gar auch von »Stolz-Arbeit«. Nämlich aus dem Munde des konkurrenzlos progressivsten deutschen Kulturdezernenten Hermann Glaser: »Das deutsche 19. Jahrhundert läßt Stolz-Arbeit zu; und es evoziert Trauerarbeit« (Soviel Anfang war nie). Ob Trauer nun wirklich eine -> Arbeit sei, darüber mögen die Physiker mit den Psychologen rechten. Wenn aber nach der Stolz-Arbeit demnächst auch noch die Humorarbeit und die Glücksarbeit eingeführt werden, dann sollte die Literaturpolizei auf den Plan treten.

Für die Quacksalberin Marg. Mitscherlich (Erinnerungsarbeit) ist die im Sinne der »Trauerfähigkeit« zu leistende »Trauerarbeit« ein -> »Lernprozeß des Abschiednehmens« (S. 16) bzw. ein »Lernprozeß im Abschiednehmen« (S. 23). Womit es ihr gelingt, aber nun wirklich allen Gesetzen von Logik, Semantik und Physik in einem Atemzug das Lebenslichtlein auszupusten — zugunsten eines wahrlich »intensiven Umgangs mit Trauerprozessen« (S. 32) aller hierzulande als »Trauerschmock« (Karl Kraus, 18. 1. 1917!) emsigst Betriebsamen; die sich um unsere dummdeutschredaktionellen Bedenken nicht scheren, sondern sich nicht entraten noch entblöden, in Frankfurt ein Buchhandlungsfenster mit einer Werbeplakatfahne »Trauerarbeit« zu nobilitieren. Dagegen »Trauern zwischen Sinnverlust und Sinnlichkeit« (Tagungsthema) wollte im Juni 1990 die Evangelische Akademie in Tutzing. Sie müssen allesamt mit Fleiß stocknarrisch geworden sein. Viel ist wohl einfach auch Autosuggestion, selig schlummernd in sich selbst.

»Ein Deutscher«, schwant Adorno, »ist ein Mensch, der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben

Auf Musikkritiker-Symposien — ausgerechnet — hört man z. B. neuerdings läuten, gegenwärtige Musikkritik bzw. Rezensionstätigkeit leiste an ihren avanciertesten Stellen wesentlich: »Trauerarbeit«. Auch Reisen, hört man unken, habe exakt mit diesem von Freud geprägten und später von Mitscherlich und seiner nebulosen Witwe popularisierten, nämlich auf die Nichtbewältigung der Nazizeit bezogenen Terminus entscheidend zu tun. Was das alles zu bedeuten hat, weiß längst niemand mehr — auch das FAZ-Feuilleton nicht, dem nur noch übrig bleibt, anläßlich des ARD-Films "Winterreise" vom Februar 1992 und seiner »west-östlichen Trauerarbeit« als von etwas »in seiner unüberbietbaren Simplizität schon wieder Wunderbarem« seufzend zu schwärmen. Wir aber müssen‘s dulden. Und die WörterbuchDrecksammler zumal. Was aber einen Eckhard Henscheid auch nicht davor bewahrte, im Oktober 1992 von einem gewissen Hellmuth Karasek im Spiegel selbst ausgerechnet der »Trauerarbeit« geziehen und überführt zu werden.

Kurz nach Redaktionsschluß freilich entfächerte der Hamburger Literaturwissenschaftler Klaus Briegleb (Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 1992) die »Trauerarbeit« bei Peter Weiss als »Ent-Täuschungs-Arbeit« (S. 112).

Wortwörtlich. »O mei, o mei« (Alfred Leobold). - (eh)

Trauerarbeit (2) Der Mythos hat den Vorteil, einen Vorsprung zu gewähren. Es geht nicht um Schuld, sondern um Schuldfähigkeit. Wir bringen es fertig, die Vergangenheit nicht durch Vergessen zu erledigen, sondern durch Erweckung. Dadurch sind wir ausgezeichnet als die, die nicht verdrängen, die ihre ›Trauerarbeit‹ leisten - oder wenigstens leisten lassen durch solche, die dann wieder von dieser Arbeit leben, wie andere Leute auch von ihrer Arbeit leben. Das ist der Vorteil von Arbeit: sie kann geteilt, sie kann delegiert werden, weil sich davon leben läßt. Sonst würde es keiner annehmen.

In Wirklichkeit ist da nichts zu bewältigen. Es gibt keine Bewältigung von Vergangenheit, nicht irgendeiner. - (blum3)

Trauerarbeit (3) Chizzy half sich mit Kochen. In den letzten Wochen hatte sie Eintöpfe und Aufläufe, Brot, Pies und Kuchen, einen fetten Truthahn und magere Hähnchen gekocht. Der Gefrierschrank war voll, Chizzy kochte weiter. Um mit dem Überschuß fertigzuwerden, mußte sie unentwegt essen. Kay rührte kaum etwas an, und Howard und sein Vater waren von jeher wählerische Esser.

Ben war eine gewisse Hilfe. Er hatte meist Hunger, weil die Mädchen, die gelegentlich bei ihm wohnten, es alle nicht sehr mit dem Kochen hatten. Aber selbst er schaffte es nicht, mit Chizzys Produktion Schritt zu halten.

So nahm sie zu, fand ihr neues Ebenbild schrecklich, aß noch mehr, um sich zu trösten, und nahm weiter zu. Sie wog fast so viel wie die beiden japanischen Gärtner, Mitsu und Suki, zusammen. Der junge Mann, der zweimal in der Woche kam, um den Pool sauberzumachen, nannte sie Mrs. Langwiebreit, bis sie ihm mit einem seiner Abfischgeräte eins überzog.

Indessen vermehrte sich die Nahrung weiter, wie eine besonders produktive neue Lebensform, die sich nicht beherrschen ließ. - Margaret Millar, Banshee, die Todesfee. Zürich 1990 (zuerst 1981)


Seelenarbeit Trauer

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