ransfenestration
«Und jetzt», kündigte Moderator Skip Tromblay schmunzelnd
an, «zu einem Ereignis, das in Vineland schon Tradition hat, Wie alle Jahre
wieder vollführte Mr. Zoyd Wheeler, Freigänger aus der örtlichen Nervenheilanstalt,
heute seinen nun schon vertrauten alljährlichen Sprung durch eine Schaufensterscheibe
des Bezirks. Diesmal traf es die berüchtigte <Cucumber Lounge>, die Sie
hier sehen können, wo sie immer zu sehen ist, nämlich dicht am Highway 101.
Ihr TV86-<Hot Shot>-Nachrichtenteam wurde von einem anonymen Anrufer informiert
und präsentiert Ihnen nun eine Aufzeichnung von Wheelers Glanztat, die es voriges
Jahr um ein Haar zu einer landesweiten Ausstrahlung in <Good Morning America>
gebracht hätte.»
«Sieht gut aus, Dad.» In der Glotze kam Zoyd wie ein Geschoß aus dem Fenster
geflogen, unterlegt mit dem nachsynchronisierten Klirren einer nunmehr echten
Glasscheibe. Polizeiautos und Feuerwehr-Gerätschaften untermalten die Szene
mit fröhlichem Chromglitzern. Zoyd sah, wie er auf dem harten Boden aufkam,
abrollte, sich aufrichtete und kreischend, mit gefletschten Zähnen, auf die
Kamera losging. Seine Pro-form a-Verhaftung und Freilassung waren geschnitten
worden, aber Zoyd konnte mit Befriedigung feststellen, daß das Partykleid mit
seinem nostalgisch-hawaiiani-schen Papageien- und Hulamädchen-Druck in Leuchtorange,
fast ultraviolettem Purpur, etwas kreischigem Grün und einem zarten Hauch von
Lila als echter Blickfang rüberkam. Auf einem anderen Kanal, einem der San Francisco-Sender,
wurde die Szene in Zeitlupe wiederholt: Millionen von Kristallen zogen Flugbahnen,
die von so glatter Perfektion waren wie die Tropfen eines Springbrunnens, und
Zoyd fand mitten im Flug die Zeit, durch eine Reihe von Posen zu rotieren, an
die er sich beim besten Willen nicht erinnern konnte, die aber, zu Standbildern
eingefroren, anderswo für erste Preise in irgendwelchen Fotowettbewerben gut
gewesen wären. Anschließend kamen die Highlights aus seinen früheren Versuchen,
wobei die Farben mit jedem Schritt zurück in die Vergangenheit schlechter und
die übrigen Produktionsdetails liebloser wurden, worauf eine Podiumsdiskussion
unter Fachleuten folgte, darunter ein Physikprofessor, ein Psychologe und ein
Leichtathletiktrainer, live zugeschaltet von den Olympischen Spielen unten in
Los Angeles, die die Entwicklung von Zoyds Sprungtechnik im Lauf der Jahre analysierten
und zu einer grundlegenden Unterscheidung zwischen dem Typus der defenestrativen,
aus einem Fenster schlicht hinausspringenden, und dem der transfenestrativen,
nämlich durch das Fenster hindurchzielenden, Persönlichkeit gelangten, die ganz
unvergleichbare psychische Subtexte aufwiesen. - Thomas Pynchon,
Vineland. Reinbek bei Hamburg 2015
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