Träume erzählen   Eine Volksüberlieferung warnt, Träume am Morgen nüchtern zu erzählen. Der Erwachte verbleibt in diesem Zustand in der Tat noch im Bannkreis des Traumes. Die Waschung nämlich ruft nur die Oberfläche des Leibes und seine sichtbaren motorischen Funktionen ins Licht hinein, wogegen in den tieferen Schichten auch während der morgendlichen Reinigung die graue Traumdämmerung verharrt, ja in der Einsamkeit der ersten wachen Stunde sich fest­setzt. Wer die Berührung mit dem Tage, sei es aus Menschenfurcht, sei es um innerer Sammlung willen, scheut, der will nicht essen und ver­schmäht das Frühstück. Derart vermeidet er den Bruch zwischen Nacht- und Tagwelt. Eine Behutsamkeit, die nur durch die Verbrennung des Traumes in konzentrierte Morgenarbeit, wenn nicht im Gebet, sich rechtfertigt, anders aber zu einer Vermengung der Lebensrhythmen führt. In dieser Verfassung ist der Bericht über Träume verhängnisvoll, weil der Mensch, zur Hälfte der Traumwelt noch verschworen, in seinen Worten sie verrät und ihre Rache ge­wärtigen muß. Neuzeitlicher gesprochen: er verrät sich selbst. Dem Schutz der träumenden Naivität ist er entwachsen und gibt, indem er seine Traumgesichte ohne Überlegenheit be­rührt, sich preis. Denn nur vom anderen Ufer, von dem hellen Tage aus, darf Traum aus überlegener Erinnerung angesprochen werden. Die­ses Jenseits vom Traum ist nur in einer Reinigung erreichbar, die dem Waschen analog, jedoch gänzlich von ihm verschieden ist. Sie geht durch den Magen. Der Nüchterne spricht von Traum, als spräche er aus dem Schlaf.    - (ben)

Träume erzählen (2) Zu jenen Dingen, die Monsignore della Casa »eindeutig« ablehnt, zählt die Angewohnheit, anderen im Gespräch von seinen Träumen zu erzählen. »Man langweilt seinen Nächsten also nicht mit so niedrigen Dingen wie den Träumen, zumal den dummen, wie sie der Mensch gewöhnlich träumt.« Kurz zuvor hatte er bemerkt, daß Menschen, die ihre Träume zu erzählen pflegen, uns beim Erzählen von den Dingen, die sie in wachem Zustand tun, genauso langweilen.  - (scia)

Träume erzählen (3)  Wenn er Talita, ihrer ein wenig vom Schlaf klebrigen Stimme zuhörte, ihr übers Kopfkissen fließendes Haar betrachtend, war Traveler verwundert, daß das alles so sein konnte. Er streckte einen Finger aus, berührte die Schläfe, die Stirn Talitas. (»Und da geschah es, daß meine Schwester meine Tante Irene war, aber ich bin nicht sicher«), er spürte nur wenige Zentimeter von seinem Kopf entfernt die Barriere (»Und ich stand nackt auf einem Stoppelfeld und sah den fahlen Fluß ansteigen, eine ungeheure Welle . . .«). Sie hatten so geschlafen, daß ihre Köpfe sich berührten, und in dieser unmittelbaren Nähe, in nahezu völliger Übereinstimmung der Haltung, der Stellungen, des Atems, bei ein und derselben Wohnung, demselben Kopfkissen, derselben Dunkelheit, demselben Ticktack, denselben Reizen von der Straße und der Stadt, denselben magnetischen Strahlungen, derselben Kaffee­marke, derselben Sternkonstellation, in der für beide gleichen Nacht hatten sie, eng umschlungen an diesem Ort, verschiedene Träume geträumt, unterschiedliche Abenteuer erlebt, er hatte gelächelt, während sie erschrocken floh, der eine hatte abermals eine Prüfung in Algebra ablegen müssen, der andere hatte eine Stadt aus weißem Stein erreicht. Talita legte Freude oder Kummer in das Nacherzählen am Morgen, aber Traveler versteifte sich heimlich darauf, Über­einstimmungen zu entdecken. Wie war es möglich, daß die Gemeinsamkeit während des Tages unausweichlich m diese Scheidung, in diese Einsamkeit des Träumenden einmündete, die er als unzumutbar empfand? Manchmal kam sein Bild in Talitas Träumen vor, oder das Bild Talitas war Teil eines fürchterlichen Alptraums von Traveler. Aber sie beide wußten nichts davon, es war notwendig, daß der andere es beim Aufwachen erzählte: »Dann nahmst du mich bei der Hand und sagtest. . .« Und Traveler entdeckte, daß während er in Talitas Traum sie bei der Hand genommen und mit ihr gesprochen hatte, er in seinem Traum mit Talitas bester Freundin im Bett gelegen oder mit dem Zirkusdirektor gesprochen oder in Mar del Plata geschwommen hatte. Die Anwesenheit seines Phantoms im fremden Traum reduzierte ihn darauf, nur Arbeitsmaterial zu sein, ohne irgendeine Vorrangstellung den Marionetten gegenüber, den unbekann­ten Städten, den Eisenbahnstationen, den Freitreppen, dem ganzen Arsenal der nächtlichen Schemen. Mit Talita vereint, ihr Gesicht und ihren Kopf mit Fingern und Lippen umschlie­ßend, spürte Traveler die unüberschreitbare Grenze, die schwindelerregende Entfernung, die auch die Liebe nicht überwinden konnte. Lange Zeit wartete er auf ein Wunder, daß nämlich Talita ihm am Morgen erzählen würde, was er selbst geträumt hatte. Er wartete darauf, rief es herauf, provozierte es, indem er alle möglichen Analogien heranzog, Ähnlichkeiten suchte, die jäh zu einem Wiedererkennen führen würden. Nur ein einziges Mal, und Talita maß dem gar keine Bedeutung bei, träumten sie analoge Träume. Talita sprach von einem Hotel, in das sie und ihre Mutter gingen und in das man seinen eigenen Stuhl mitbringen mußte, um hineinzukommen. Da erinnerte Traveler sich an seinen Traum: ein Hotel ohne Badezimmer, was ihn zwang, mit einem Handtuch eine Eisenbahnstation zu überqueren, um an einem nicht näher bestimmten Ort baden zu können. Er sagte es ihr: »Fast haben wir denselben Traum geträumt, wir waren in einem Hotel, wo es keine Stühle und keine Badezimmer gab.« Talita lachte belustigt, schon war es Zeit aufzustehen, man mußte sich schämen, solche Langschläfer zu sein. Traveler gab seine Hoffnung nicht auf, aber sie wurde immer kleiner. Die Träume kehrten wieder, ein jeder auf seiner Seite. Die Köpfe schliefen und berührten sich, und in jedem hob sich der Vorhang vor einem anderen Schauspiel. - (ray)
 
 

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