Toter, erwachender    Ich erwache reglos, tot, ich habe ein Leben hinter mir, alle meine Erinnerungen finden in einer Hand Platz. Zahllose Fehler, nichts als Fehler: Hoffnungen und Abtrünnigkeiten. Gefälschte Papiere. Jetzt ist es zu Ende, vorbei das frohe Delirium. Jetzt bin ich eine kleine Weile wichtig. Ich bin wie ein König, denn man vermutet, und nicht zu Unrecht, daß ich in meiner Hand Erinnerungen halte, die alle, ohne Ausnahmen, die Götter Inbegriffen, begraben möchten. Um mich stehen Schatten in prunkvollen Trauerkleidern; ich höre geheucheltes Schluchzen, vielleicht wohlfeil gekauft; vielleicht suche ich nach einem teilnahmsvollen Weinen, das mir bestätigt, daß ich nicht nur gestorben bin, sondern auch gelebt habe. Ich verlange nach allen meinen Fehlern. Mit den im übrigen unvermeidlichen Fehlern überrede ich alle Lebewesen zum Bleiben, die sich in diesem Zimmer um mein Bett versammelt haben; um dem Lever des Toten beizuwohnen. Männer, die Holz und Bronze bis in die letzten Schliche kennen, haben einen kompakten schweren Sarg gezimmert, in den diese Lüge des Fleisches gelegt und wo sie fest eingeschlossen werden soll, auf daß sie sich nicht mehr an den Schamlosigkeiten des Lebens ergötze. Es wird nie genügen, daß ich tot bin; ich muß zu einem Verborgenen gemacht werden, der in den Eingeweiden der gleichgültigen, ungeweihten Erde liegt; ich muß mich auflösen, muß in Ewigkeit die Klausur hinter diesen künstlerischen Bronzetüren über mich ergehen lassen. Ich versinke in widerlichem Blumenduft, trage kostspielige und vergängliche Kleider, und eines erstaunt mich, und wie es mich erstaunt, ich habe nichts mehr zu erzählen, und ich habe immer so gern geplaudert!  - Giorgio Manganelli, Kometinnen und andere Abschweifungen. Berlin 1997
 

Tote Erwachen

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