otenkultur Mit größter Kühnheit oder mit Wagemut wird von manchen folgender Diskurs vorgebracht: »Die Ähnlichkeit zwischen Toten und Bakterien verweist auf eine andere Möglichkeit, wie die Frage aufzuwerfen sei, um vielleicht zu einem Schluß zu gelangen. Es könnte sein, daß es Ausnahmesituationen gibt, besonders günstig für das Wohlleben der Hinübergegangenen; etwa leicht verdauliche Speisen, vorgewärmte Behausung oder euphorische wilde Ehe. Warum nicht künstlich ein derartiges Ambiente schaffen? Kurzum: ›in vitro‹ eine Totenkultur anlegen? Und wenn es uns gelänge, eine gewisse Gelatine zu entdecken, ein künstlich hochnahrhaftes Präparat, in welchem diese sich ansetzen könnten, dann ließe sich das Laboratoriumsstudium der Toten einleiten, indem man sie so oft als nötig Experimenten unterwirft, um sie schließlich, die ewig Aufmüpfigen, zu einem kontinuierlichen und sinnvollen Gespräch zu zwingen.«
Und denen, die Befürchtungen hegen, daß diese Kulturen der Toten ihrem möglichen
Beitrag etwas von seiner Ursprünglichkeit und Schmackhaftigkeit nehmen könnte,
erwidere man, daß die Bakterien nicht weniger virulent und hitzig sind, wenn
sie im Brutkasten leben statt im menschlichen Blut; und sicherlich dienen diese
Kulturen schließlich auch den Toten selbst, indem man sie ihrem tristen Herumirren
in den eisigen, ungastlichen Welträumen entzieht. Es gibt sogar manche, die
sich nicht scheuen, von einer ›Zivilisierung‹ der Toten zu sprechen, indem
man sie an freundlichen Örtlichkeiten ansiedelt, die zu schätzenswertem geselligen
Gebrauch ausgestattet sind. - Giorgio Manganelli, Diskurs über
die Schwierigkeit, mit den Toten zu sprechen. In: G. M., An künftige Götter.
Sechs Geschichten. Berlin 1983 (zuerst 1972)
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