Totenforscher  Der Katalog der bizarren und verzweifelten Forschungen, welchselbige auf der Suche nach körperlosen Ohren und Mündern ohne Atem sind, erscheint vielleicht als eine Liste unerledigter Anfragen. Soviel Kunst und Kunstfertigkeit, so wird mancher höhnen, soviel List und Hinterlist, soviele Maschinen und Machenschaften: für welchen Lohn? Silben, Wortstummel, vielleicht sarkastische Seufzer, unartikuliertes Stöhnen; sehr unzulänglich ist die Wegbezeichnung, die zur Stadt der Toten führt. Und überdies: wer sind denn jene, brüderliche Ungeheuer, uns ähnlich und anders geformt? Kreisförmiges, kilometerlange Stilette, Bakterien; oder, wie Gaukler oder wilde Tiere, in einer Silbe lauernd, um im Sprung in die Volute des Atems einzudringen; oder zersprengt, um die Erde zu bedecken, oder abgedrängt in freundliche und unzugängliche Regionen, oder zu gewalktem Nudelteig herabgemindert, fein ausgebacken, als echte Götterspeise? Möchten sie mit den Lebenden Gespräche führen? Entweder sind sie geduldig und zerstreut, auch ein wenig dümmlich, oder sie sind gänzlich taub oder so abgelenkt von Phantastereien, denen gegenüber die irdischen Verrücktheiten eine Buchhalterrechentafel sind? Sind sie benommen von irgendeinem dröhnenden und servilen Kollektivdelirium, das sie die Stimmen der Lebenden nicht vernehmen oder diese gegenüber ihren verzückten Stimmen als lästig und verabscheuenswert erscheinen läßt?

Man setze den Fall, daß die Toten etwas Vermischtes und Ruheloses seien; teils tyrannisch, teils tyrannisiert; Komplizen oder Widersacher ihrer Gauleiter; zahm oder heimlich aufsässig. Daß in jenem ihrem Vaterland einige, halb wirr und halb händelsüchtig, einen endgültigen Aufstand anzetteln, ein Geplänkel, das, erst scheinbar spielerisch, sich zur Ruchlosigkeit auswächst.

Dolche gelten ihnen nichts, diesen beinigen Verschworenen, noch Kriegsmaschinen; aber das Gespräch, die Allianz mit den Lebenden halten sie für umstürzende und irreparable Geschosse; denn damit, so sagen sie mit ihrer zornvollen Rhetorik, wird der Himmel von oben bis unten zerrissen, wie ein mürbes Zeitungsblatt, das man zum Einwickeln des Abfalls benützen will, oder um den Arsch zu putzen. Deshalb versuchen sie, geduldige Simulanten, Risse zu schaffen, bearbeiten Laufgräben und Höhlen, drücken sich in Laufmaschen, betreiben Rost und Verfall.

Schon zwinkert's freundschaftlich in der Luft von geheimer und vorsichtiger Heiterkeit, flüstert's von komplizenhaften Rätseln.  - Giorgio Manganelli, Diskurs über die Schwierigkeit, mit den Toten zu sprechen. In: G. M., An künftige Götter. Sechs Geschichten. Berlin 1983 (zuerst 1972)

 

Forscher Tote

 

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