otenbeschwörung   Ich zog das scharfe Schwert von der Hüfte und grub eine Grube, eine Elle lang hierhin und dorthin, und um sie goß ich den Weihguß für alle Toten: zuerst von Honiggemisch, hernach von süßem Weine, zum dritten hinwieder von Wasser, und streute darüber weiße Gerste. Und gelobte, vielfach zu den kraftlosen Häuptern der Toten flehend, daß ich, nach Ithaka gekommen, ein unfruchtbares Rind, das nur immer das beste wäre, darbringen würde in den Hallen und einen Scheiterhaufen anfüllen mit edlen Dingen, und daß ich dem Teiresias gesondert einen Schafbock opfern würde, ihm allein, einen ganz schwarzen, der hervorsticht unter unseren Schafen. Doch als ich die Völker der Toten mit Gelübden und Gebeten angefleht, ergriff ich die Schafe und durchschnitt ihnen den Hals über der Grube, und es strömte das schwarzwolkige Blut.

Da versammelten sich von unten aus dem Erebos die Seelen der dahingestorbenen Toten: junge Frauen und junge Männer, Greise, die viel erduldet hatten, und noch kindliche Mädchen mit jungem Gram im Herzen, und viele, verwundet von erzbeschlagenen Lanzen: Männer, im Kriege gefallen, mit blutverkrusteten Rüstungen. Die kamen und gingen um die Grube, viele, der eine von hier-, der andere von dorther, mit unaussprechlichem Geschrei, und mich ergriff die blasse Furcht. Da trieb ich alsdann die Gefährten und hieß sie, daß sie die Schafe, die schon geschlachtet mit dem erbarmungslosen Erz am Boden lagen, abhäuten und verbrennen und dabei zu den Göttern beten sollten: dem starken Hades und der schrecklichen Persephoneia.

Doch selbst zog ich das scharfe Schwert von der Hüfte und saß hin und ließ die kraftlosen Häupter der Toten nicht dem Blute näher kommen. - (hom)

Totenbeschwörung (2)  Ihr Museum war ausgeschlagen wie ein Katafalk. Drei Fackeln brannten am Rande des an die Wand gerückten Tisches unter dem Portrait von Vater Bouvard, über dem der Totenschädel hing. Eine weitere Kerze hatten sie in den Hohlraum des Schädels gesteckt, aus dessen Augenhöhlen Lichtstrahlen hervorbrachen.

Auf einer Heizplatte in der Mitte brannte Weihrauch; Bouvard stand dahinter, und Pécuchet, der ihm den Rücken zukehrte, warf ganze Hände voll Schwefelpulver ins Herdfeuer.

Zur Beschwörung eines Toten bedarf es der Einwilligung der Dämonen. Der heutige Tag war ein Freitag, also der Tag von Bechet; Bechet mußte mithin als erster angerufen werden. Nachdem Bouvard sich nach links und nach rechts verbeugt hatte, senkte er das Kinn, hob die Arme und begann:

»Im Namen von Ethaniel, Amazin, Ischyros...« Er hatte die weitere Reihenfolge vergessen. - Pécuchet flüsterte ihm rasch die richtigen Worte vor, die er auf einem Zettel notiert hatte.

»Ischyros, Athanatos, Adonai, Sadai, Eligius, Messias (der Namenskatalog war lang) beschwöre ich dich, erinnere ich dich, befehle ich dir, o Béchet!« Und weiter, mit leiserer Stimme: »Wo bist du, Béchet? Béchet! Béchet! Béchet!«

Bouvard sank in den Sessel, ganz erleichtert, daß Bechet nicht auftauchte, zumal eine innere Stimme ihm diesen Beschwörungsversuch als Frevel ankreidete. Wo war die Seele seines Vaters? Konnte sie ihn hören? Und wenn sie nun plötzlich erschiene?

Die Vorhänge bauschten sich langsam im Wind, der durch ein gesprungenes Fenster hereindrang, und die flackernden Kerzen warfen unruhige Schatten auf den Totenschädel und das Gesicht auf dem Gemälde, die gleichermaßen von einem erdig-braunen Farbton überzogen zu sein schienen. Schimmel bedeckte die Wangen, die Augen wirkten völlig blicklos; darüber aber leuchtete eine Flamme aus den Augenhöhlen des Totenschädels, der manchmal sogar an die Stelle des anderen zu treten und auf dem Kragen des Überrocks zu stecken, ja, sogar seine Bartkoteletten zu tragen schien; - und die halb aus dem Rahmen gelöste und gewellte Leinwand zitterte und bebte.

Allmählich aber spürten sie so etwas wie den Hauch eines Atems, die Annäherung eines ungreifbaren Wesens. Dicke Schweißtropfen befeuchteten Pecuchets Stirn, und als Bouvard mit den Zähnen zu klappern begann, spürte er einen Krampf in der Magengegend; der Fußboden wich wie eine Welle vor seinen Füßen zurück; der im Kamin brennende Schwefel schlug sich in dichten Schwaden nieder; Fledermäuse stoben taumelnd auf; ein Schrei ertönte; - wer war das?

Und sie hatten so entstellte Gesichter unter ihren Kapuzen, daß ihr Entsetzen, als sie einander musterten, sich nur noch steigerte; sie wagten keinen Finger zu rühren oder zu sprechen, bis sie hinter der Tür leise Seufzer hörten, wie von einer armen Seele in Bedrängnis.

Endlich trauten sie sich hinaus.

Es war ihre alte Magd, die, als sie ihr Treiben durch einen Spalt in der Trennwand beobachtete, den Teufel am Werk gesehen zu haben glaubte, und im Hausflur auf den Knien liegend, schlug sie ein Kreuzzeichen nach dem anderen.

Alles begütigende Zureden war sinnlos. Sie verließ sie noch am selben Abend: bei solchen Herren wolle sie nicht mehr dienen. - Gustave Flaubert, Bouvard und Pécuchet. Frankfurt am Main 2003 (Die Andere Bibliothek 222, zuerst 1881)

Tote Beschwörung Spiritismus
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