T-Indexotem   Wir wissen, was die Tiere tun, welches die Bedürfnisse des Bibers, des Bären, des Lachses und der anderen Lebewesen sind, weil sich die Männer ehemals mit ihnen verheiratet und dieses Wissen von ihren tierischen Gattinnen erworben haben ... Die Weißen haben in diesem Land nur kurze Zeit gelebt und verstehen nicht viel von den Tieren; wir aber wohnen hier seit Tausenden von Jahren, und die Tiere selbst haben uns schon vor langer Zeit belehrt. Die Weißen schreiben alles in ein Buch, um es nicht zu vergessen; aber unsere Vorfahren haben die Tiere geheiratet, sie haben ihre Lebensweise kennengelernt, und sie haben diese Kenntnisse von Generation zu Generation weitergegeben.   - Nach D. Jenness, in: Claude Lévi-Strauss, Das wilde Denken. Frankfurt am Main 1973 (zuerst 1962)

Totem (2) Unter allgemeiner Stille wurde Unkas in den Kreis geführt. Alle Blicke ruhten auf der hohen, geschmeidigen Gestalt. Mit geräuschlosem Schritt trat er bis an den erhöhten Stuhl des greisen Tamenund.

„In welcher Sprache redet mein Gefangener zu dem großen Geiste?" fragte Tamenund den Jüngling, ohne die Augen aufzuschlagen.

„In der Sprache seiner Väter, der Delawaren", antwortete Unkas.

Ein wildes Murren folgte dieser Erwiderung. Tamenund sogar schien erschüttert. Er fuhr mit seiner Hand über die Augen, als wolle er sie vor einem schmachvollen Anblick bewahren, und sagte mit dumpfer Stimme: „Ich habe gesehen, daß der freie Hirsch und der wilde Vogel in den Wigwams der Menschen lebten, aber noch nie habe ich einen Delawaren gefunden, der so niederträchtig gewesen wäre, einer Schlange gleich in das Lager seiner Nation zu kriechen."

„Die falschen Singvögel haben ihre Schnäbel geöffnet", antwortete Unkas mit seiner melodischen Stimme. „Tamenund hat auf ihren Gesang gehört."

Der weise Häuptling fuhr empor und neigte sein Haupt auf die Seite, als lausche er den verschwebenden Tönen einer verklungenen Musik.

„Träumt Tamenund?" rief er. „Welche Stimme klingt in mein Ohr? Sind die Winter rückwärts gegangen, und kehrt der Sommer wieder zu den Kindern Lenapes?"

Ein feierliches Schweigen folgte diesen Worten. Tamenund versank in tiefes Nachsinnen, über dem er ganz die Gegenwart zu vergessen schien. Ein alter Häuptling wagte es schließlich, ihn an den Gefangenen zu erinnern.

„Der falsche Delaware wartet zitternd auf Tamenunds Worte", sagte er. „Er ist ein Spürhund, der da heult, wenn die Engländer ihm eine Fährte zeigen."

„Und ihr", entgegnete Unkas finster, „seid Hunde, die winseln, wenn euch der Franzose den Abfall von seinem Wilde vorwirft."

Zwanzig Messer blitzten in der Luft, aber ein Wink des Häuptlings stellte die Ruhe wieder her. Gleich darauf sprach Tamenund:

„Delaware, du verdienst deinen Namen nicht. Seit vielen Wintern hat mein Volk keinen Sonnenschein gesehen, und ein doppelter Verräter ist der Krieger, der im Unglück seinen Stamm verläßt. Er ist euer, meine Kinder, verfahrt mit ihm nach Gerechtigkeit!"

Diesem Endurteil folgte ein erschreckendes Rachegeschrei aus dem Munde des versammelten Volkes. Als es verstummte, rief ein Häuptling mit lauter Stimme, daß der Gefangene verurteilt sei, die Probe der Feuerqual zu bestehen. Unruhe und Entsetzen ergriff die Mitgefangenen; nur Unkas selbst zeigte gelassene Heiterkeit.

Furchtlos erwartete er seine Quäler. Der Wildeste unter ihnen ergriff ihn bei seinem Jagdhemd und zerrte es ihm mit einem Ruck vom Leibe herunter. Dann stürzte er mit wahnsinnigem Jubel auf sein Opfer, um es an den Pfahl zu führen, hielt aber plötzlich wie erstarrt inne. Seine Augen schienen aus ihren Höhlen zu treten. Langsam hob er seine Hand und zeigte mit dem Finger auf die Brust des Gefangenen. Seine Begleiter drängten um ihn her, und alle Augen hefteten sich auf die Gestalt einer kleinen Schildkröte, die in glänzend blauer Farbe auf die Brust des Gefangenen tätowiert war.

Mit der Würde eines Königs trat Unkas vor das Volk und sprach mit lauter Stimme:

„Krieger der Lenni-Lenapes, mein Geschlecht trägt die Erde! Welches Feuer der Delawaren würde das Kind meiner Väter verbrennen? Das Blut, das aus einer solchen Quelle entsprang", er deutete auf das einfache Wappen auf seiner Brust, „würde euer Feuer verlöschen. Mein Geschlecht ist der Großvater von Nationen."

„Wer bist du?" fragte Tamenund, sich langsam erhebend.

„Unkas, der Sohn Chingachgooks!" antwortete der Jüngling, indem er ehrerbietig sein Haupt vor dem greisen Patriarchen beugte. „Ein Abkömmling der Großen Schildkröte."

„Tamenunds Stunde ist nahe!" rief der Weise. „Mein Tag wendet sich der Nacht zu, und ich danke dem großen Geiste, daß er einen gesandt hat, meine Stelle am Beratungsfeuer einzunehmen. Unkas, das Kind des Unkas ist gefunden! Laßt die Augen des sterbenden Adlers in die Sonne blicken!"

Leichten Schrittes trat der Jüngling dicht vor Tamenund, der lange jeden Zug des schönen Antlitzes in sich aufnahm, gleich einem, der vergangene schöne Tage wieder zurückruft.

„Ist Tamenund wieder ein Knabe geworden?" rief er endlich aus. „Habe ich nur geträumt, daß mein Volk gleich dem wehenden Sande zerstreut worden ist? Unkas steht vor mir wie damals, als er zum Kampf gegen die Blaßgesichter zog! Unkas, der Panther seines Stammes, der weiseste Häuptling der Mohikaner!"

Unkas sah dem Alten mit der Liebe und Ehrfurcht eines Kindes in die Augen. Nach einer tiefen Stille sagte er:

„Vier Krieger seines Geschlechtes haben gelebt und sind gestorben, seit Unkas sein Volk in die Schlacht führte. Das Blut der Schildkröte rann in den Adern vieler Häuptlinge; sie sind zur Erde wiedergekehrt, aus der sie kamen, bis auf Chingachgook und seinen Sohn."

„Es ist wahr - es ist wahr!" erwiderte der Patriarch schmerzlich. „Unsere weisen Männer haben oft gesagt, daß zwei Krieger aus dem alten Geschlecht noch in den Bergen verweilen. Warum sind ihre Sitze bei den Beratungsfeuern so lange leer geblieben?"

Der junge Mohikaner richtete sein Haupt empor und sprach mit lauter, tönender Stimme: „Es gab eine Zeit, wo wir in unserem Schlaf den Salzsee in seiner Wut sprechen hören konnten. Damals waren wir Herrscher über das Land. Als sich aber an jedem Bache ein Blaßgesicht zeigte, folgten wir dem Wilde, zurück nach dem Flusse unserer Nation. Die Delawaren waren fortgezogen und nur wenige Krieger geblieben, um aus dem Strome zu trinken, den sie liebten. Meine Väter sagten: Hier wollen wir jagen, denn die Wasser des Flusses gehen in den Salzsee. Wenn der große Geist wieder lächelt und spricht: Kommt! so folgen wir dem Flusse nach dem Meere und nehmen wieder, was unser ist. Dies, Delawaren, ist der Glaube der Schildkröte. Wir blicken nach der aufgehenden und nicht nach der sinkenden Sonne." - James Fenimore Cooper, Der Letzte Mohikaner

Totem (3)


 Naht der Diabel
dir scheußlich wie nie:
auf! und erfabel dir
Totemtier — Schnabeltier

- Peter Rühmkorf, Kleine Fleckenkunde. 1988 (Insel-Bücherei 1082) 

Totem (4)  Der Totemismus ist die Wurzel aller anderen Religionen und aller Götter, ist das erste Suchen, die erste Eroberung des Unvergänglichen durch das Vergängliche. Der Totem war die Kollektivseele des Stammes. »Unsere frühesten Ahnen«, sagt mit Recht der Ägyptologe Alexander Moret, »glaubten ihre Seele in Sicherheit, weil sie dem Totem verbunden war, das heißt einer Tier- oder Pflanzenart, einer Klasse von Dingen, die nicht sämtlich umkommen konnten. Beim Tode des Individuums nahm der Totem die unsterbliche Einzelseele, jenes von ihm zu einem vorübergehenden Dasein ausgesandte Teilchen wieder in sich auf.«

Selbstverständlich wird das alles der Ameise genau so wenig bewußt, wie es unseren Vorfahren bewußt wurde. Nicht was einem bewußt wird, noch was man denkt, übt die tiefsten Wirkungen -; allein der eigentliche Wesenskern ihres Daseins liegt darin, und irgendein Instinkt, der zerstreut in allem lebt, was da atmet, raunt es ihr zu. Ihr Totem ist der Geist des Ameisennestes, wie der Totem der Biene der Geist des Bienenstocks ist. Der primitive Mensch hatte den Geist seiner Sippe. Als Ersatz dafür besitzen wir nur noch ein paar flüchtige Schemen, und die werden auch bald verschwinden. Es wird uns nichts bleiben als unser Eintagsdasein; wir werden uns immer einsamer fühlen und je länger, je weniger gegen den Tod gewappnet sein.  - (maet)

Totem (5)  Einst machten die Menschen nicht Krieg. Sie hatten Pfeile, die Tiere zu töten. Das war alles. Man starb nicht an Krankheiten noch anderem.

Da kamen von da unten eine Frau, Muamba geheißen, und Kalala, ihr Sohn, der war der älteste von fünfzehn Knaben, das Land zu sehen. Kalala trug mehrere Lanzen.

Auf dem Wege trafen sie einen Zug Ameisen, die im Krieg gewesen waren und mit Holzläusen zurückkamen. Kalala betrachtete sie mit Aufmerksamkeit und sagte: »Wie diese Tiere muß ich kriegen und Menschen töten?«

Lachend sprach ibm die Mutter: »So du Menschen töten willst, töte zuerst mich, deine Mutter.«

Erwiderte er:

»Sicher, ich werde dich töten.«

Gleich grub er eine Grube zur Seite des Pfades.

Da sprach die Mutter:

»Ho, ich sagte das lachend, und du schaffst deiner Mutter eine Grube?«

Er antwortete nichts; vollendete die Grube, kniete seine Mutter darein und verscharrte die ganz Lebendige. Sein Herz war sehr schlimm geworden.

Er ging weg und sah einen Baum so hoch, daß er in den Himmel reichte; fünf Männer saßen da, drei tötete er mit der Lanze. Die zwei anderen flohen; er verfolgte und griff sie. Die zwei Männer sprachen:

»Mach nicht Krieg. Tanzen wir. Weißt du zu tanzen?«

Antwortete Kalala: »Alle Tänze kenne ich.«

Man tanzte und trank Bier; denn viele Leute gab es in den Nachbardörfern, die Lunga Nsunga gehörten, dem großen Häuptling.

Da Kalala schlief, machten sie eine große Grube, die sie mit einer Matte verbargen. Da er erwacht war, tanzte man noch und sprach:

»So du ermüdet bist, ruhe dich auf der Matte.«

Doch er umtanzte die Matte und legte sich zur Seite nieder.

Dann erstieg einer der drei Männer den Baum und ging weg zu Gott. Da er nach fünf Monaten nicht zurückgekehrt war, folgte ihm der zweite und traf ihn, da er hinunterstieg.

Und der erste sprach:

»Ich traf in der Hohe Nkuba, eine große schwarze Ziege, die einen Schwanz wie von Feuer trägt; sie hat mich gelehrt, Krieg zu führen.« Da die zwei hinuntergestiegen waren, warfen sie Kalala in die Grube und frügen ihn:

»Kalala, bist du am Leben?«

»Ich lebe.«

»Also wirst du sterben wie deine Mutter«, und sie warfen Erde darauf. Aber da die vierzehn Brüder nicht die Mutter noch den ältesten Sohn zurückkommen sahen, machten sie sich mit ihren Sklaven auf den Weg und fanden alsbald ein Grab, darin sie die Mutter schauten, und erkannten sie an ihrem Tuch. Und sie klagten. Da sie zu Ilunga Nsungu gekommen waren, töteten sie die Frauen, die die Felder bestellten. Sie hatten viele Lanzen. Ilunga Nsungu hatte eine großen Topf voll Musa (Aussatz), einen voll Blattern und einen großen Topf voll Bienen. Er schleuderte diese über sie.

Viele Sklaven starben, doch die vierzehn Brüder waren des Krieges gewohnt und fuhren fort, jedermann zu töten. -

Also erbat Ilunga Nsungu den Frieden und lud die vierzehn Brüder ein, Bier zu trinken. Sie kamen und legten ihre Lanzen nieder. Den zweiten Tag bat Ilunga Nsungu, wie das unter Fremden geschieht: schneidet mir das Haar. Der älteste der Brüder nahm öl, rieb damit den Kopf des Häuptlings und versuchte, das Haar zu schneiden. Doch es gelang ihm nicht. Sein Bruder versuchte das Gleiche ohne Gelingen, und alle, die es versuchten, konnten ihn nicht scheren. Doch der jüngste der Brüder, der ganz Kleine, sagte: »Ich werde sie schneiden.«

Er nahm Wasser und rieb damit den Kopf Ilunga Nsungus, und die Haare fielen rasch.

Da sprachen seine Brüder: »Wie, du bist ganz klein und bist klüger denn wir.« Sie töteten ihn und schnitten ihn in Stücke.  - Afrikanische Märchen und Legenden. Hg. Carl Einstein. Berlin 1980 (zuerst 1925)

Totem (6)

Abstammung Wappentier

Oberbegriffe

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Unterbegriffe

 

 

VB
MagieÄhnlichkeit

Synonyme
Wappentier