ote, idiotische Manche meinen, daß die stumme Unverfrorenheit der Verstorbenen nicht von Dreistigkeit oder Gemeinheit herrührt, sondern daher, daß die Toten nichts anderes sind als Idioten. Diese These läßt zwei Auslegungen zu, deren eine völlig hoffnungslos, die andere hingegen behutsamer ist.
»Beim gegenwärtigen Stand der Kenntnisse«, - so stellt man fest, - »können
wir nicht ausschließen, daß das Hinscheiden mit seinem Schrecken den unglücklichen
Patienten betäubt. Und vielleicht versetzen ihn der außerirdische Luftzug, der
Einbruch körperloser Stimmen, der zugleich okkulte und brutale Raub der Glieder,
das Aufhören oder die Verzerrung der Liebesgefühle, die Einsamkeit und der Kontakt
mit neuen und unbekannten Menschenmengen, die vielleicht fremdartig und ungeheuerlich
sind, in einen Zustand vernebelter Verdutztheit, aus der ihn weder Gebete noch
Opfergaben wachrütteln; und wir wissen auch nicht, ob man je auf ein Heilmittel
gegen diese schreckliche und erschreckende Lähmung hoffen darf.« Andere entgegnen
mit sachverständigerem Respekt vor den Toten als einer Klasse folgendes: »Falls,
wie manche nicht ohne Grund vermuten, die Toten Idioten sind, so mag das nicht
von der Verblödung durch das Hinscheiden abhängen, das in gleichem Maße alle
Hingeschiedenen treffen würde, sondern vielmehr davon, daß wir uns bisher nur
mit idiotischen Toten in Verbindung gesetzt haben. Und das mag sich aus zweierlei
Gründen erklären: in erster Linie durch pure statistische Rechnung, denn es
versteht sich von selbst, daß der größte, ja der überwiegende Teil der Toten
wahrscheinlich wenig mehr als idiotisch ist, da sie in den Räumen des Styx das
prozentuale Verhältnis dessen, was auf Erden war, wiederholen; andererseits
kann es sein, daß die Toten sich Schicht- und stufenweise einordnen, und daß
die Doofen durch ihr natürliches Schwergewicht die untersten und niedrigsten
Schichten bevölkern, während die vorsichtigen Optimaten auf der Höhe schweben;
und daß sich unsere Sonden in diesem schlammigen Plankton von Toten verfangen
haben; so wie Netze sich mit winzigen und ungenießbaren Fischchen füllen, während
die großen Exemplare, schwer von Fleisch und mit mächtigen Flossen, auf dem
Grunde liegen und sich eines Lichtes erfreuen, das nicht das unsrige ist. Wieder
andere bemerken, nicht ohne Scharfsinn: »Es ist nicht unwahrscheinlich, daß
die Schuld an der peinlichen Situation der offenkundigen und lachhaften Unterwürfigkeit
der Lebenden gegenüber den Toten zuzuschreiben sei: die Bereitwilligkeit zu
den infantilsten Lügen, die Betroffenheit, mit der man die minimalsten Indizien
ihrer Gegenwärtigkeit aufnimmt und feiert, der Reliquienkult, der Grabinschriftenschwindel;
all das hat entweder die anständigen und ehrlichen Toten angeekelt und zugleich
der Hefe des Styx geschmeichelt, oder aber die Verstorbenen haben sich, blutleer
und schmächtig, wie sie sind, vielleicht in irgendeiner Weise an solch dümmlicher
Hochstimmung berauscht, wie Schmierenkomödianten, die man als große Stars feiert.«
- Giorgio Manganelli, Diskurs über
die Schwierigkeit, mit den Toten zu sprechen. In: G. M., An künftige Götter.
Sechs Geschichten. Berlin 1983 (zuerst 1972)
|
||
|
||