Topas  Er hatte im Schlaf erblickt, oder erträumt ... was zum Teufel war er zu träumen imstande?  ... ein seltsames Wesen: einen Patsch, einen To-Patsch. Einen Topatz hatte er sich erträumt: was ist, schließlich und endlich, ein Topatz ? Ein Topas: ein facettiertes Glas, eine Art leuchtend gelbes Fanal, das immer größer wurde, das von Augenblick zu Augenblick anwuchs, vor ihm herrollend ihm entfleuchte und beinahe, wie durch stummen Zauber, unters Rad seiner Maschine geriet. Die Gräfin wollte ihn haben, den Topatz, sie war betrunken, kreischte und drohte, stampfte mit den Füßen; das Gesicht von Bleichheit entstellt, sagte sie schmutziges Zeug auf Venezianisch oder vielleicht sogar in einem spanischen Dialekt. Sie hatte den General Rebaudengo abgekanzelt, weil seine Carabinieri nicht dazu taugten, ihn auf irgendeiner Straße oder einem Sträßlein einzuholen, den verfluchten Topatz, den Gelbbatz. Beim Bahnübergang von Casal Bruciato witschte das gläserne Sonnenblumenrad ... rechtsum kehrt! ... hinaus und flitzte nun die Geleise entlang, in verwandelter Gestalt, als Tollpatsch nunmehr, und trullerte toppo-toll-toppo-toll-toppo-toll: und der Rom-Neapel-Expreß sauste, sauste in voller Fahrt hinter der Morgendämmerung her und beinahe hinein in die Nacht, in die circeische Dunkelheit, gekrönt von Blitzen und Geisterfunken das Stromgestänge, ein elektrisch geladener Hirschkäfer. Bis daß er einsah, daß ihm dies verrückte Gerolle entlang den flüchtigen Parallelen nicht zur Rettung gereichte: da hatte der Topatz-Tollratz sich von den Geleisen abgewandt und ins nächtliche Gelände gestürzt, nachtwärts, gegen die stockenden Mahlgraben, im Campo Morto und ins Gestrüpp und Gewirr des Strands von Pomezia: die Frauen vorm Bahnwärterhäuschen kreischten, und schrien, er sei verrückt geworden: daß man ihn aufhalte, ihn in Schellen lege: der Lokomotivführer jagte ihm nach in den Sümpfen, mit den gelben Augen durchforschte er alles, den Dschungel und die Düsternis, bis hinab, wo Namen seltener werden, am Fuß des Berges der Gräfin Circe, wo Lampions und Girlanden über den Altanen am Lido sich wiegen in der abendlichen Brise des Meeres. Und dorten, die Nereiden: kaum den Fluten entstiegen und allsogleich sich entblößend vom Gewand aus Algen und Schaum, zwischen dem Kommen und Gehen der weißgekleideten Kellner und geeisten Siphons und Schalmeien erheitern sie die zaubervolle Nacht von Castel Porcano. Die Gräfin, unter schmachtenden Nänien, fordert vom Schlaf eine Phiole des Vergessens: Vergessen der sinnlosen Irrwege, der Verwirrungen des Traums. Traum des Nichtseins. In Castel Porcino, unter Girlanden von gelben Birnen zu zwei Watt und trunknen, süß-gewölbten Lampionen, im Hauchen und Verhauenen der Melodien wählte die Magierin in der (durchgehend) geöffiieten Tabaktrafik nach Gutdünken die demnächst in Schweine zu Verwandelnden, jene, welche durch diesen Zaubertrank und durch diesen Wohlgeruch wieder zu Rüsselschweinen werden sollten, nachdem sie sich in der Schule zu Eselsohrigen herausgebildet hatten: durch den Knüppel des Macchiavell. Schon entwanden sich die Jüngerinnen, schwanenweiß bis auf das büschelige Dreieck, dem hindernden Zügel der Väter, wanden und drehten sich in stummem Angebot: das vom langsamen Mohrentanz und verhaltener Sarabande mählich sich aufschürte zum trochäischen Rhythmus einer Estampida, wo das entschlossene Stampfen des Fußes dem Pflaster stolze Akzente verleiht: während das plötzliche Aufrichten und Schütteln des Nackens und des Hauptes unterstrichen vom Tarätatä der Kastagnetten das Haar dem Abgrund wieder anheimgab, zum Zeichen unbezähmten Stolzes sowohl des Nackens wie der Seele. Da nun der Sturm der Nackten (und keineswegs Benommenen) in den Chor einbrach, steigerte sich der Stampftanz zur Syzygie, zum vorgespiegelten apotropäischen Tanze: ein Schwarm verhuschter Mänaden tat, als schrecke er vor einem Rudel Satyre, deckte und schützte sich mit Händen und Entfleuchen vor den rubinrot rauchenden Bacchusstäben: in der Tat schon fast blöd und schwummelig geworden vor übermäßiger Inanspruchnahme: der Nase nämlich. Da er ihnen jn diesem Augenblick zwischen die Beine geraten war, dazwischengestürzt wie ein schwarzer Blitz voll Kitzel und voll dunklen Geschehens, hatte der Toll-Ratz urplötzlich die Schönen verschreckt. Splitter eines explodierten Herzens waren herumgeflogen in alle Richtungen, alle Ecken; zum Stillstand gebracht beim bloßen Anblick dieser besessenen Ratte ihr hüftenwiegendes und brüstewerfendes Priesterinnentum. Und Geschrei und Geschrille, nicht zu sagen: während der Schnurrhaarige hin- und herflitzte, wie ein Pfeil von der Armbrust, schwarzer, zugespitzter Fleischball. Viele von ihnen hatten, unbedacht des Umstands, daß sie nackt waren, die Arme gezückt, wie um sich die Röcke aufs Knie herunterzuziehen, etwas unbewehrtes Zartes zu schützen: aber der Rock, der war zum Teufel. Und das Zarte dazu.    - Carlo Emilio Gadda, Die gräßliche Bescherung in der Via Merulana. München 1988
 
 

Edelstein

 

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