onrausch
Gänge in tiefer Dämmerung und halber Nacht berauschen und begeistern
die Jugend. In ihr zog nun an den Markttagen die Janitscharenmusik durch die
Hauptstraßen; und Volk- und Kindertroß zog betäubt und betäubend den Klängen
nach, und der Dorfsohn hörte zum ersten Male Trommeln und Querpfeifchen und
Janitscharenbecken. »In mir,« - dies sind seine eignen Worte - »der ich unaufhörlich
nach Tönen lechzete, entstand ordentlich ein Tonrausch und ich hörte, wie der
Betrunkne sieht, die Welt doppelt und im Fliegen. Am meisten griff in mich die
Querpfeife durch einen melodischen Gang in der Höhe ein. Wie oft sucht' ich
nicht diesen Gang vor dem Einschlafen, wo die Phantasie das Griffbrett oder
die Tastatur verklungner Töne am leichtesten handhaben kann, wieder zu hören
und wie bin ich dann so selig, wenn ich ihn wieder höre, so innig-selig als
ob die alte Kindheit wie ein Tithon unsterblich geworden bloß mit dem Tone und
damit spräche zu mir! - Ach leichte, dünne, unsichtbare Klänge beherbergen ganze
Welten für das Herz und sie sind ja Seelen für die Seele.« - - Vielleicht schnitten
die Töne der höhern Oktave am tiefsten ein. Engel behauptet zwar, daß
die eigentlichen Wohllaute sich zwischen den tiefen und den hohen Tönen aufhalten;
aber man könnte sagen, über beide hinaus liegt eben die poetische Musik. In
der dunkeln Tiefe der niedrigsten Baßklänge woget langsam unten vergangne, abgelaufne
Zeit; hingegen die schroffe Höhe der äußersten Diskanttöne schreien und schneiden
in die Zukunft hinein, oder rufen sie heran, indem sie sie tönen, und sprechen
das Scharfe und Enge aus. So klang mir bei der russischen Feldmusik das hohe
scharfe Dareinpfeifen der kleinen Pfeifchen fast fürchterlich als eine zum Schlachten
rufende Bootmanns-Pfeife, ja als ein grausames Früh-Tedeum für künftiges Blutlassen.
- Jean Paul, Selberlebensbeschreibung
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