Tomate

 

- N. N.

Tomate (2)  So kurz die Zeitspanne zwischen Denken und Handeln auch sein mag, es bleibt immer noch Platz für ein Ereignis, ein kleines oder ein großes. Gerade als sie daran dachten, sich von der Eiche (oder von Raymond Poincaré meinetwegen) zu entfernen, tauchte eine Tomate vor ihren Füßen auf. Das wäre ja nichts weiter als völlig normal gewesen, wenn die Tomate nicht angefangen hätte, wie ein Mensch zu atmen.

Und jetzt - verflixt und zugenäht! - bewegt sich die Tomate, hebt vom Boden ab, schwingt von oben nach unten, von links nach rechts und laßt sich dann auf dem Kopf der Bäckerin nieder. Augenblicklich fühlt sich die biedere Frau reich an Erfahrung, stellt alsbald fest, daß ihre Muskeln so hart geworden sind wie die eines austrainierten Athleten, und deklamiert das folgende Gedicht:

Wunder oh Wunder sang die Suppe
Sie sang ein Lastkraftwagen lied
das in die Gläser des Lebens fällt
Das Leben steht auf zittrigen Beinen
die dünn sind so dünn
Das Leben schleudert seinen Handschuh aus dem Fenster
Es fällt einem Schutzmann auf die Schutter
Der Schutzmann wird dran sterben
und das Leben verurteilt werden
zu lebenslänglicher Zwangsarbeit
Oh wasjür eine traurige Geschichte
Eine Hausfrau  
Witwe und Mutter von fünf Kindern
verlor beim Hutabnehmen eine Möhre
Der Hut der eine Hammelpfote war
hätte beinah' 15.000 Untertassen zerschlagen
in einer Straße
wo häufig die blauäugigen Männer verkehrten
die in Bahren leben
auf Sahnebetten
wie die nackten Blumen

Lebwohl lebwohl einmal wirst du ja sterben müssen.

Die Bäckerin holte tief Luft, hob die Augen zum Himmel, ats sei sie in Ekstase, und fiel in Ohnmacht. - Benjamin Péret, Es war einmal eine Bäckerin ... , in: B. P., Die Schande der Dichter. Prosa, Lyrik, Briefe. Hamburg 1985 (Edition Nautilus)

 

Früchte

 

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