Toilettenschiff   Wenn von Menschen geleert, ist das Innere stahlgrau. Wenn bevölkert, ist es grün, ein angenehmes Giftgrün. Sonnenlicht fällt durch die Bullaugen der oberen Decks (die Rücksichtslos hier hat eine permanente Schlagseite von 23° 27'), stählerne Waschbecken säumen die tieferliegenden Schotten. Am Ende jeder Unterlatrine befinden sich eine Kaffeemesse und per Handkurbel zu bedienende Filmautomaten mit Schweinereien, Ältere, weniger glamouröse, ungermanisch aussehende Frauen kann man in den Geräten für die Mannschaftsdienstgrade betrachten. Die wirklich saftigen, auch rassisch einwandfreien Apparate sind den Offizieren vorbehalten, klar. Ein Stück von diesem Nazi-Fanatismus.

Die Rücksichtslos selbst ist die Ausgeburt einer anderen Art von Fanatismus: dem des Spezialisten. Dieser Kahn hier ist ein Toilettenschiff, ein Triumph der deutschen Sucht nach Unterteilung. «Wenn das Haus organisch ist», argumentieren die frühen, kernigen Verfechter des ToÜettenschiffgedankens, «dann lebt Familie im Haus, dann ist Familie organisch, das Haus davon das äußerliche, sichtbare Zeichen, kapiert», während sie hinter ihren getönten Brillen, unter ihren grauen Einheitshaarschnitten kein Wort davon glaubten, machiavellistisch und jugendfrisch, noch nicht ganz reif für die Paranoia. «Und wenn das Badezimmer Teil des Hauses ist, ist Haus organisch! Ha-hah!» singend, tadelnd, mit Fingern auf den vierschrötigen, blond gesichtigen Techniker mit Mittelscheitel und glatt zurückgeschlecktem Haar deutend, der tatsächlich errötet inmitten des humorig zahnenden Gelächters seiner Ko-Technologen, hätte er doch diesen springenden Punkt um ein Haar vergessen (Albert Speer, er selbst, der sich in einem grauen Anzug mit einer Spur Kreide am Ärmel, eine Hand in die Hüfte gestützt, im Hintergrund an die Wand lehnt und dabei dem amerikanischen Cowboy-Darsteller Henry Fonda bemerkenswert ähnlich sieht, hat schon jetzt vergessen, daß das Haus organisch ist, aber, Ränge haben Ihre Privilegien, auf ihn zeigt keiner). «Ergo ist das Toilettenschiff für die Kriegsmarine, was das Badezimmer für das Haus. Denn die Marine ist organisch, das wissen wir alle, ha-hah!» [Generelles, oder vielleicht admirales, Gelächter.] Die Rücksichtslos sollte das Flaggschiff eines ganzen Geschwaders von Toilettenschiffen werden. Doch die dafür vorgesehenen Stahlkontingente wurden der Marine weggeschnappt und zum A-4-Programm umgeleitet.  - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei Hamburg 1981

 

Schiff Latrine

 

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