Todfeind  Ich wurde vor dreitausend Jahren in Syrien geboren; ich bin unsterblich und allumfassend; ich bin nie gestorben und werde niemals sterben; mein Name ist Amiwelech; meine Offenbarung-ein wohlgefälliges Verbrechen; ich besitze die Fähigkeit der Verwandlungen und kann schweben, wenn die Umstände es erforderlich machen.

Ich verspürte Hunger und ging in ein Café.

Der niedrige weitläufige Raum war in der Mitte durch einen bordürenähnlich an Wänden und Decke anliegenden Bogen betont. Ich hielt ihn wegen einer wunderlichen Kongruenz für einen Spiegel. Das Tischchen, an dem ich mit dem Gesicht zum Bogen saß, glich den anderen Tischchen und stand geometrisch genau dem Tischchen gegenüber, das hinter dem Bogen stand. An diesem saß ebensoweit entfernt von der Bordüre wie ich, das Gesicht auf die Hände gestützt, mein zweites Ich. Ich tauschte einen flüchtigen Blick mit dem aller Umstände wegen imaginären Spiegelbild, geriet jedoch kurz darauf in größte Bestürzung, da das vermeintliche Spiegelbild sich erhob. Da erst bemerkte ich, was mir vorher nicht aufgefallen war: der unbekannte, mir verdammt ähnlich sehende Mensch war anders gekleidet als ich. Die Illusion eines Spiegels schwand.

Er stand auf, ging, mich aufmerksam musternd, durch den fast menschenleeren Saal und ließ sich am Fenster außerhalb meines Blickfeldes nieder, so daß ich das Essen unterbrechen und den Kopf drehen mußte, wollte ich ihn sehen. Erregt wartete ich ab. Ich wußte, wer der mit meinem Blick und meinen Wangen war. Er war es, der Fürst dieser Welt, meinewigerTodfeind.

Ich verzehrte das, was der von fern meine Bewegungen beobachtende Diener mir mit einer außerordentlich blöden und gespannten Miene gereicht hatte, und drehte mich mit einem Ruck zu ihm um. Ich gierte nach einem sofortigen Zweikampf, nach einem Widerstreit wunderbarer Wirkungen und einem Triumph des Geistes.

»Du bist ein Feigling!« sagte ich laut und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Während unseres Gesprächs, das so geräuschvoll begann, aber  mit halber Stimme beendet wurde — weil es sich um halbgöttliche Kräfte drehte —, wurden in den Saalecken und hinter der Theke die widerlichsten Grimassen geschnitten. Die Leute tuschelten miteinander, zwinkerten einander zu, zeigten mit den Fingern auf uns und nickten. Da ich wußte, daß sie verrückt waren, schenkte ich diesen armseligen Geschöpfen keine besondere Aufmerksamkeit. Alle Kraft meiner Erregung richtete sich gegen ihn. Ich wiederholte:

»Du bist ein Feigling!«

Er schwieg sich aus, lächelte geheimnisvoll, als überlegte er, wie er mich über seine wahre Natur täuschen konnte, stand dann auf und setzte sich an meinen Tisch. Er hielt sich sehr bescheiden; seine Körperhaltung, seine Bewegungen, sein Lächeln und seine Blicke zeugten von vollkommener Verstellung. Ich sah in seine äußerst aufmerksamen Pupillen und las darin: es schien, als leuchtete ihr schwarzer Glanz in rotem Höllenfeuer.  - Alexander Grin, Das Seil. In: Phantastische Zeiten. Hg. Franz Rottensteiner. Frankfurt am Main 1986 (zuerst 1922. Phantastische Bibliothek 185)

 

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