odeszelle   In der Todeszelle, dem Raum, in dem die Schwerverbrecher nach ihrer Verurteilung eingesperrt wurden, fanden wie üblich Andachten statt. Er nahm pro forma daran teil, zeigte aber nie auch nur einen Anflug jener Reue, die Verbrecher im Angesicht des Todes empfinden.

Wenn er überhaupt Fragen stellte, so betrafen sie vor allem das, was nach dem Tod kam. Er wollte wissen, wie man sich das unsichtbare Reich des Jenseits vorzustellen habe, fragte aber nie nach dem Gericht, das uns dort unweigerlich erwartet und uns gerecht und furchtbar nach unseren Taten im Diesseits beurteilt, fragte nie nach einem Retter, bei dem der Sünder Zuflucht finden könnte, so, wie einst im Altertum dem Mörder Asylrecht gewährt wurde, auf daß er der Blutrache entginge.

Je weniger Zeit ihm blieb, desto mehr schien sein Geist sich zu verwirren. Schließlich begann er die Frage zu erörtern, ob es mit dem Gesetz zu vereinbaren sei, wenn man sich eigenhändig aus dem irdischen Elend befreie, nach dem Vorbild der alten Römer, bei denen, wie er behauptete, eine solche Tat als Beweis des Mutes und der Ritterlichkeit galt und jedem zur Ehre gereichte.

Äußerungen dieser Art waren für die Aufseher Anlaß genug, ihn ständig im Auge zu behalten, um zu verhindern, daß er Hand an sich legte. Sie bewachten ihn so scharf wie möglich. Trotzdem gelang es ihm, sich am Tag vor seiner Hinrichtung heimlich eine kleine Flasche mit einem Beruhigungsmittel zustecken zu lassen, von dem er eine so große Dosis einnahm, daß sein Zustand ihn bald verriet. Er war so benommen, daß er bei der Andacht den Kopf nicht mehr heben und die Augen nicht offenhalten konnte.

Daraufhin versuchten zwei andere Gefangene ihn wachzurütteln (der Gedanke, er könnte eine schädliche Dosis geschluckt haben, kam ihnen nicht), dann packten sie ihn an den Armen und redeten ihm zu, aufzustehen und ein wenig in der Zelle auf und ab zu gehen. Seiner Gicht wegen konnte er das nur mit Hilfe der anderen tun.

Er wurde dadurch zwar nicht richtig wach, aber es stellten sich andere Wirkungen ein: Zuerst wechselte er die Farbe und wurde totenblaß; dann brach ihm plötzlich der Schweiß aus, so daß die anderen glaubten, er würde das Bewußtsein verlieren. Sie wollten ihm ein Anregungsmittel geben, aber er wies es zurück und sagte, er sei sehr krank. Kurz darauf erbrach er sich heftig, und aller Wahrscheinlichkeit nach wurde sein Leben dadurch für den Galgen aufgespart; denn indem man ihn zwang, sich zu bewegen, erreichte man, daß er den größten Teil des Beruhigungsmittels von sich gab; er hatte es noch nicht so lange im Magen gehabt, daß es sich mit den Körpersäften oder dem Blut hätte vermischen können. Halte er es auch nur eine Stunde früher eingenommen, dann hätte er den großen Schlaf bereits im Gefängnis antreten können.

Doch da er sich nun auf natürliche Weise Erleichterung verschafft hatte, erholte er sich wieder und obwohl er noch benommen war, konnte er herumlaufen, sprechen und das wenige tun, das ihm zu tun blieb, nämlich sein Leben am Galgen beschließen.  - Daniel Defoe, Jonathan Wild. In: D.D., Romane in zwei Bänden. München 1968 (zuerst 1725)

Todeszelle (2)  »Ist das die Todeszelle?« erkundigte er sich neugierig, als er von einem Wärter hereingeführt wurde.

Der Wärter nickte stumm.

»Wirklich sehr gemütlich«, stellte Mr. Todhunter nach kurzem Rundblick fest. Und die Größe und Bequemlichkeit der Zelle war wirklich überraschend. Es gab ein frisch bezogenes Bett, einen großen Tisch mit mehreren Stühlen, und ein paar wirklich hübsche Bilder an den Wänden.

»Sehr schön«, sagte Mr. Todhunter befriedigt und zog seinen Mantel aus.

»Der Direktor wird gleich da sein«, sagte der Wärter.

Kurz darauf hörte Mr. Todhunter das Geräusch eines Schlüssels im Schloß — es überraschte ihn wirklich, daß man ihn in diesem hübschen Zimmer eingeschlossen hatte — und ein grauhaariger, militärisch wirkender Mann mit kurzgeschnittenem Schnurrbart trat in Begleitung eines zweiten Mannes herein.

»Der Direktor«, verkündete der Wärter.

»Guten Tag«, sagte Mr. Todhunter höflich.

Der Direktor räusperte sich und zerrte an seinem Schnurrbart.

»Dies ist der Gefängnisarzt«, stellte er seinen Begleiter vor.

Mr. Todhunter verneigte sich.

»Ich bin über alles unterrichtet«, sagte der Arzt fröhlich. »Ich werde mir gleich mal das Aneurysma ansehen.«

»Ich fürchte, es ist in den letzten Wochen ein wenig strapaziert worden«, sagte Mr. Todhunter.

»Das kriegen wir schon wieder hin, keine Sorge.«  - Anthony Berkeley, Der verschenkte Mord. München 1972 (zuerst ca. 1930)

 

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